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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 69<br />

Bürgerstiefel. Ich erstarrte. Solche hatte S=mbotin am Tage, als wir uns trennten,<br />

angehabt.<br />

„Hör mal! Derjenige, mit dem du getauscht hast, war der in unserer<br />

Kolonne?“<br />

„Hab gar keinen Tausch gemacht. Die Stiefel gehörten einem Toten, der<br />

aus der vorherigen Kolonne liegen geblieben war und den eure Leute entkleidet<br />

haben. Ich habe nichts anderes getan, als jenem, der die Stiefel an sich nehmen<br />

wollte, in den Arsch zu treten“, beendete Cre]u die Übersetzung, selber auch das<br />

gleiche Schreckliche vorausahnend. S=mbotin konnte also einer der entkleideten<br />

Kadaver in der Wegmitte sein, von denen wir uns entsetzt abwendeten? „Nein!“,<br />

sagte ich mir, „Es gab auch andere Offiziere, vor allem unter den aktiven, die<br />

Bürgerstiefel besaßen, es stimmt, sehr wenige von ihnen, aber es gab noch<br />

welche. Warum sollten diese da gerade seine gewesen sein?“<br />

T<strong>ro</strong>tzdem blieb ein Hauch von Zweifel in meiner Seele zurück.<br />

*<br />

Und so marschierten wir weiter, tagelang, nächtelang, immer mühevoller,<br />

gehetzt von F<strong>ro</strong>st, Hunger und Erschöpfung. Wenn der LKW, der uns B<strong>ro</strong>t<br />

brachte, auf dem Rückweg kein bestimmtes Ziel hatte, befahl Dwoeglasow, auf<br />

meine Bitte hin, jene mitzunehmen, die kaum noch gehen konnten.<br />

Nun hörte man keine Schüsse mehr am Ende der Kolonne, und der<br />

krummbeinige Hund mit rötlichem Fell konnte kein Blut mehr lecken.<br />

In all dieser Zeit bestand meine Rolle, die ich mir selber geschaffen hatte,<br />

darin, zusammen mit einer kleinen Gruppe aus meiner Batterie und dem<br />

Usbeken, den mir der Kommandant zur Seite gestellt hatte, das Vorankommen<br />

der Kolonne in geordneter Formation in einem Tempo zu sichern, das den<br />

Kräften der Schwächeren unter uns entsprach.<br />

Das bedeutete, dass wir kontinuierlich die Kolonne abzugehen hatten, von<br />

vorne nach hinten und zurück. Vorne ging es darum, dass die engen Reihen der<br />

Offiziere den richtigen Marschrhythmus vorgaben, und wenn die Kolonne drauf<br />

und dran war, zu stark auseinander zu fallen, wurden auf meine Bitte hin kleine<br />

Pausen eingelegt. Hinten darum, den Erschöpften, die den Anschluss zu<br />

verlieren und damit die letale Annäherung an die Kette der Schlussmänner<br />

riskierten, kräftigere Männer an die Seite zu stellen. Soweit es möglich war. War<br />

es dies nicht, stützten wir sie, uns abwechselnd, ab. So sicherten wir allen, die<br />

noch eine Lebenschance hatten, die Bewahrung dieser zu, und holten sie weg<br />

aus dem Schussfeld des Riesen, der sich so sehr an mich gewöhnt hatte, dass<br />

er mich jeden Tag, wenn er mich sah, grinsend grüßte: „Zdrastwuite prafessor<br />

(Guten Tag, P<strong>ro</strong>fessor!), mir lässt du keinen mehr?“ „Prafessor“ sagte auch<br />

Dwoeglasow, mein Kollege aus Taschkent, zu mir, also hatte er wohl durch<br />

meinen Usbeken auch erfahren, was ich von Beruf und welches meine Rolle in<br />

der Kolonne war. Manche aber murrten dem gemäßigten Marschtempo und der<br />

vielen Pausen wegen, die gemacht wurden.<br />

„In diesem Trauermarschtempo und mit soviel Rastpausen werden wir am<br />

St. Nimmermehrstag den Bahnhof erreichen“, sagte einmal ein Dieb aus S\rata,<br />

mit gewölbtem Mantel von dem darunter versteckten B<strong>ro</strong>t, das er aus dem<br />

verwüsteten Laster gestohlen hatte.

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