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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 505<br />

Lebens. Einen Steinwurf weg von uns erhob sich auf einer schneeweißen<br />

Anhöhe ein Maramurescher Haus mit seinem traditionell zugespitzten, mit<br />

schwarzen Schindeln gedeckten Dach, aus dem wie aus einer Räucherpfanne<br />

gleich weißen Kolumnen die Rauchschwaden eines Herds in die Stille eines<br />

sonnig-f<strong>ro</strong>stigen Morgens aufstiegen. Es war wie eine Art Weihrauch, der diese<br />

kosmische Liturgie begleitete, die von den Bergen, Tälern, Wäldern, den<br />

Kämmen und Gewässern des Landes zusammen vollzogen wurde – so weit das<br />

Auge reichte. Und alle Linien, aus denen sich diese Landschaft<br />

zusammensetzte, sammelten sich harmonisch zu einem welligen Rhythmus, der<br />

sich endlos wiederholte. Es war unser mioritischer Raum. Es war unser Land.<br />

„Brüder, wir sind da!“, nur soviel konnte ich ausrufen, bevor mir die<br />

Stimme versagte und Tränen meine Augen füllten. Alle sprangen von ihren<br />

Schlafstätten und drängten sich zu den zwei Fensterchen und dem Spalt an der<br />

Tür, um ein jeder, der Reihe nach, das „gelobte Land zu sehen, an dessen<br />

Grenze wir gelangt waren.<br />

„Dies ist Sighet!“, rief der Maramurescher aus, „wir sind daheim!“<br />

„Was machst du denn, R\ducu, du weinst ja!”, fuhr mich Puiu Atanasiu an.<br />

„Und du, was machst du denn gerade?” Tatsächlich, auch in seinen<br />

Augen sowie auch in denen der anderen zitterten Lichtperlen. Wir umarmten uns<br />

und schüttelten einander kräftig die Hände, im traurigen Bewusstsein dessen,<br />

dass nun, da wir am Ende unserer Reise angelangt waren, sich unsere Wege<br />

fatalerweise trennen würden.<br />

Eine Überlappung von widersprüchlichen seelischen Zuständen g<strong>ro</strong>ßer<br />

emotionaler Aufladung war dies Begegnungsmoment mit der Heimat: einerseits<br />

die grenzenlose Freude über die Erfüllung einer heiß ersehnten Erwartung,<br />

andererseits das Vorgefühl all der Enttäuschungen, die diffuse und noch<br />

gegenstandslose Angst vor den Gefahren, die uns von jetzt an auflauern würden,<br />

vor allem aber die Trauer eines jeden von uns über die bevorstehende Trennung<br />

von allen anderen.<br />

Unsere Gruppe hatte sich mit den schriftlichen P<strong>ro</strong>testen und dem<br />

Hungerstreik im Juni 1946 in Oranki gebildet, unsere erste g<strong>ro</strong>ße<br />

„Widerstandsform“, worüber ich zu gegebenem Zeitpunkt berichtet habe. Das<br />

Verdienst der Auswahl dieser Gruppe – dies muss ich zugeben – kommt<br />

ausschließlich der sowjetischen Verwaltung zu, die uns – die schwarzen Schafe<br />

des Lagers (allerdings nicht alle) – im ad hoc geschaffenem Isolator<br />

zusammengebracht hatte: die „rettungslosen Ret<strong>ro</strong>graden“, die „Reaktionären“,<br />

die „Aufwiegler“ zu den Arbeits- und Hungerstreiks, die Skandalnudeln und<br />

Störenfriede der Lage<strong>ro</strong>rdnung, die permanenten Kunden der Karzer und<br />

Isolatoren. Dies waren wir.<br />

Uns so hatten wir seelen- und bewusstseinsverwandte Menschen, die wir<br />

zusammen bei Hungerstreiks, in Karzern, Isolierungen, Deportierungen, bei<br />

Untersuchungen und Verhören, in all unseren verzweifelten Kämpfen um die<br />

Rettung unserer Seelen „vor jenen, die nicht nur den Leib, sondern auch die<br />

Seele töten“, gelitten hatten, die rettende Lektion der Solidarität gelernt. Wir<br />

hatten gelernt, einander zu helfen und uns gegenseitig den Rücken frei zu<br />

halten. Aber mehr als alles andere hatten wir gelernt, „einander zu lieben, um mit

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