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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 9<br />

Angstgefühl, etwas mich von hinten Bed<strong>ro</strong>hendes, auf jeden Fall etwas<br />

Undefiniertes, das aber den unverwechselbaren Stempel des Haftzustands trägt.<br />

Man könnte sagen, dass ich zwei parallel verlaufende Leben lebe, ein<br />

Tagleben der Freiheit und ein nächtliches der Knechtschaft. Derart, dass ich mir<br />

nach dem Fallen des Vorhangs über das Schauspiel des Tages den<br />

Gefangenenmantel umlege oder die gestreifte Häftlingsuniform anziehe und die<br />

Innentreppe des Traumes hinabsteige in meine kleine KZ-Hölle. Irgendwo bei<br />

Mircea Eliade habe ich von einem Kaiser gelesen, der träumte, ein Schmetterling<br />

zu sein. Als er aufwachte, wusste er nicht mehr, was er denn nun wirklich war:<br />

Ein Mensch, der geträumt hatte, ein Schmetterling zu sein, oder ein<br />

Schmetterling, der geträumt hatte, ein Mensch zu sein? In diesem Dilemma<br />

dürfte auch ich mich befinden: Bin ich denn ein freier Mensch, der geträumt hat,<br />

ein Gefangener zu sein, oder ein Gefangener, der geträumt hat, ein freier<br />

Mensch zu sein? Und dies ist nicht bloß mein Dilemma. Ich habe Freunde<br />

get<strong>ro</strong>ffen, ehemalige Gefangene oder Häftlinge, die, von mir ausgefragt,<br />

gestanden haben, dass auch sie, wenn nicht Nacht für Nacht, so doch von Zeit<br />

zu Zeit durch die gleichen grauenhaften Traumregionen irren, durchzogen von<br />

Stacheldraht oder anderen, kryptischeren, sophistischeren Zeichen, allesamt mit<br />

demselben unauslöschlichen Siegel des Klausurlebens versehen.<br />

Es ist aber nicht weniger wahr, dass, was mich betrifft, ich selber die<br />

Schuld trage an der machtvollen Rückkehr dieser Unterwelt an die Oberfläche<br />

des Bewusstseins, mit all ihren Höllenmonstern und irrsinnigen Ängsten. Ich<br />

selber bin’s, der sie in dem Augenblick wieder geweckt hat, da ich angefangen<br />

habe, meine Erinnerungen niederzuschreiben. Daran gegangen bin ich unter<br />

anderem mit dem Ziel, auch diese zwanghaften Zeichen zu entziffern, welche<br />

meine Träume störten, um auf solche Weise ihre Neutralisierung zu erzielen.<br />

(Man sieht wohl, dass ich Freud ernst genommen hatte.) Praktisch aber ist mir<br />

nichts anderes gelungen, als diese Monsterwelt zu erzürnen und mit erhöhter<br />

Verbissenheit gegen mich aufzuhetzen. Ich wusste, dass das Abenteuer, in das<br />

ich mich stürzte, auch einen descensus ad infe<strong>ro</strong>s mit sich brachte, mit all seinen<br />

Risiken, aber mir blieb nichts anderes übrig. Es ging nicht bloß darum, diesen<br />

Underg<strong>ro</strong>und des Bösen aus meinem Wesen auszutreiben, ein therapeutischer<br />

Versuch, den ich mittlerweile als endgültig misslungen betrachte.<br />

(Wahrscheinlich werde ich im Traum bis an mein Lebensende ein Gefangener<br />

und Häftling bleiben. Dies ist meine Crux!)<br />

Mein Unterfangen aber hatte auch ein anderes Ziel, ein viel wichtigeres,<br />

das ich hoffentlich nicht verfehlen werde und welches das Leid verdient, Nacht<br />

für Nacht Augenblicke aus einem ausgegrabenen Inferno wieder zu erleben.<br />

Welches dieses ist? Nicht mehr und nicht weniger als die beschwerliche Reise<br />

unserer Gefangenschaft wiederzugeben, und zwar nicht bloß deren äußere<br />

Ebene, sondern vor allem auch die innere, die seelische, moralische, geistige<br />

Erfahrung, die unsere Welt der Gefangenschaft, genauer jene des Offizierskorps,<br />

dem ich angehörte, in ihrer überlangen Knechtschaft im Neuen Babylon, dem<br />

sowjetischen, mitgemacht hat.<br />

Unsere Reise begann mit der Urkatast<strong>ro</strong>phe, mit dem Fall in die<br />

Gefangenschaft, oder besser gesagt, in die Knechtschaft. Im wesentlichen

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