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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 107<br />

Am Tag darauf kam nach dem Morgenappell die Reihe an uns, unsere<br />

Matratzen und Kissen mit St<strong>ro</strong>h zu füllen. Der Ort, wo diese Operation stattfinden<br />

sollte, befand sich beim Pferdestall (Konipark), neben dem ein St<strong>ro</strong>hschober<br />

stand. Wir warteten vor der Hufeisenwerkstatt darauf, an die Reihe zu kommen,<br />

als plötzlich die Tür aufging und ein stämmiger und hinkender Mann vor uns<br />

erschien (Vulkan, dem Gott der Schmiede, ähnlich). Er hatte einen<br />

Schmiedehammer in der Hand, und einige von uns erkannten in ihm den Flieger<br />

Alecu Cosma, der in den ersten Kriegstagen mit seinem Erkundungsflugzeug<br />

und seinem Kopiloten Gafencu abgeschossen worden war. Auf die<br />

Sympathiebekundungen derer hin, die ihn kannten, führte Alecu einen Finger an<br />

den Mund, sollte heißen: Aufgepasst! Und flüsterte uns zu: „Achtet auf die<br />

Dienstleistenden! Die lügen wie gedruckt! Sie sind alle gefärbt und wollen euch<br />

auch in die Farbe tunken. Unterzeichnet keine Plattform!“ Darauf verschwand er<br />

in der Schmiede. Mein Verdacht bestätigte sich. Die Mehrheit der Alten hatte<br />

nicht unterschrieben. Die Gefärbten hatten gelogen, um uns auch in ihren Sumpf<br />

zu ziehen. Wir spürten, dass uns da eine Gefahr bevorstand und wir auf dünnes<br />

Eis geraten waren. Von da an mussten wir sehr vorsichtig sein und mit wachem<br />

Verstande zusammenrücken, um zu verhüten, dass das Teufelsschwänzchen<br />

zwischen uns fuhr. Nach dem Abendessen, welches aus einem gewissen Nichts<br />

bestand, das unseren Hunger noch mehr anstachelte (wie auch Dante schrieb:<br />

„Dopo pasto, piu fame aver che pria“), wurde ich vom Starsch, zusammen mit<br />

noch ein paar Gefangenen, rausgeschickt, irgendeine Drecksarbeit zu verrichten.<br />

Als ich kurz nach dem Zapfenstreich zurückkehrte, stellte ich fest, dass das Bett<br />

meines Nachbarn, des Kavalleristen, leer war. Beunruhigt fragte ich seinen<br />

Nachbarn nach ihm. Von diesem erfuhr ich, dass der Kavallerist nach dem<br />

Abendessen von seinem alten Freund, dem Friseur, aufgesucht worden war, und<br />

nachdem sie eine Weile gesp<strong>ro</strong>chen und geflüstert hätten, habe er seine<br />

Habseligkeiten, dazu den St<strong>ro</strong>hsack und die Decke genommen und weg seien<br />

sie gewesen. Mir fiel das Gespräch ein, in dem er mir seinen Schrecken darüber<br />

gestanden hatte, dass aus dem Munde seines Freundes ein anderer spreche,<br />

und nun stellte ich mir vor, wie er denn reagieren würde, wenn er sich dessen<br />

bewusst wurde, dass jener andere (der Teufel) nun auch aus seinem Munde<br />

sprach. In den folgenden Tagen bemerkte ich, wie auch andere Altgefangene –<br />

selbstverständlich Antifaschisten und, ihrem wohlgenährten Äußeren nach zu<br />

schließen, im Dienstleistungswesen tätig – sich aller Quarantäne zum T<strong>ro</strong>tz in<br />

unseren Schlafsaal schlichen und mit einigen von uns, wahrscheinlich Bekannte<br />

von ihnen, vertrauliche Gespräche führten, deren Thema keinerlei Zweifel mehr<br />

zuließ. Die Quarantäne war also nur formell eine medizinische. Ihr wahres<br />

Wesen war rein politischer Natur und verfolgte zum einen, uns auf Distanz von<br />

den Altgefangenen zu halten, die uns vor den Fallen des Kommissariats hätten<br />

warnen können, zum anderen, uns der politischen Vergiftungsaktion durch die<br />

Agenten der Verwaltung zu unterziehen, welche als Dienstleistende in unsere<br />

Mitte gepflanzt worden waren. (Sie hatten sogar weiße Kittel, die sie über ihren<br />

Wattejacken trugen, diese Werkzeuge Codlers).<br />

All dies sollte, vor allem im Kontext einer p<strong>ro</strong>gressiven Aushungerung (die<br />

Mahlzeiten waren fast zu einer Fiktion mutiert) dazu führen, dass möglichst viele<br />

von uns ihnen ins Netz gingen. Und dies schon während der Quarantäne, denn

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