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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 352<br />

zu überlassen, alleine mit den Sowjets zurechtzukommen, was er ja auch wollte<br />

(denn er hatte seine Aktion auch uns gegenüber heimlich vorbereitet), hieß, ihn<br />

den Krallen der Verwaltung preiszugeben, welche ihn, war er doch isoliert,<br />

vernichten würde; für ihn in einen neuen Hungerstreik zu treten, und dies nach<br />

zwei Monaten Hunger und Kälte und dazu kurz nach einem anderen<br />

Hungerstreik ging über unsere Kräfte. Was sollten wir tun? Aber gerade als die<br />

Diskussion über seinen Fall sich erhitzte, ging die Barackentür weit auf und<br />

auftrat triumphierend Mitic\ B\lan. Mit einer Hand zog er die Matratze mit St<strong>ro</strong>h<br />

und Decke hinter sich her, mit der anderen schwenkte er sein<br />

Französischlehrbuch.<br />

Wir waren paff. Wir hatten nicht damit gerechnet, dass die Sowjets so<br />

schnell nachgeben würden. Hinter ihm tauchte auch Cotea auf, den Ziganow als<br />

Dolmetscher zu einem unmöglichen Dialog gerufen hatte, denn fest in seiner<br />

Schweigsamkeit eingerichtet tat B\lan nichts anderes, als alle Fragen mit dem<br />

Hochhalten der Pappe zu quittieren. Schließlich, erzählte Cotea, habe er<br />

Ziganow davon überzeugt, dass das Prestige des Lagers keinerlei Schaden<br />

nehmen werde, wenn dieser, als Kulturmensch, Verständnis zeige für eine<br />

zugegeben etwas eigenartige Aktion zur Rückgabe eines Kultu<strong>ro</strong>bjektes, eines<br />

Buches. Man befand sich ja schließlich im Land der fortgeschrittensten Kultur.<br />

„Nicht wahr?“<br />

„Hab ich’s denn nicht gesagt, sie haben keine Pat<strong>ro</strong>nen mehr?“, bediente<br />

mich B\lan, als wir die Mäntel austauschten.<br />

„Bravo, Mitic\!“, erwiderte ich und umarmte ihn. „Du warst Spitze. Ich habe<br />

in Bukarest viele Frankophone kennen gelernt. Manche sprachen besser<br />

Französisch als Voltaire, aber keiner von ihnen hätte sein Leben in einem<br />

Hungerstreik riskiert für ein französisches Buch. Du hast es getan. Das nenne ich<br />

Frankophonie.“

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