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Hätten wir <strong>bei</strong>de, mit unseren nicht ganz ausgereiften chirurgischen Kenntnissen mit dem<br />
Klammeraffen, die <strong>bei</strong>den auseinanderklaffenden Schwarten nicht sauber und ganz bündig<br />
zusammengefügt, wäre dem Patienten sicher ein Leben lang eine häßliche Narbe über die<br />
Gesichtshälfte gelaufen. So wie die Mechnik die Klammer reinhaut, so sitzt sie dann auch<br />
fest, viel justieren kann man da nachträglich nicht. Markante Narben resultieren in erster<br />
Linie daraus, daß sich während des Zusammenwachsens, die eine Schwarte über die andere<br />
erhebt.<br />
„Also, wir nähen“ beschließt der Chefarzt! „<strong>Felix</strong>, fädle mal vier Nadeln ein!“<br />
Wir rufen auf der Brücke an, daß der Kapitän jetzt vom Kurs geht und das Schiff so gegen die<br />
See hält, daß es die geringste Bewegung macht.<br />
Eigentlich sind meine Hände ja schon von dem Ätherbausch ziemlich sauber, aber ich<br />
wasche sie vorsichtshalber noch einmal, alle <strong>bei</strong>de! Dann zwänge ich sie in Gummihandschuhe.<br />
Sanitätsrat Dr. Süßmann trägt schließlich auch solche, als er mir das Einweckglas mit<br />
dem eingeweckten Nähzwirn und die eingeschweißten Nadeln reicht.<br />
Das Einfädeln der Fadenenden mit Handschuhen und Pinzette klappt nicht. Der Dampfer<br />
jumpt auch nach dem Kurswechsel noch.<br />
Scheiß Handschuhe! Ich ziehe sie wieder aus und wasche mir die Hände nun mit Seife und<br />
Bürste. Mit der Pinzette bekomme ich den Faden aber dennoch nicht in die kleinen krummen<br />
Nadeln gefummelt. Ich haue die Pinzette weg, schneide das mittlerweile schon aufgefranste<br />
Fadenende nochmals ab und fädle nun mit der Hand ein. Das Fadenende franst wieder auf,<br />
ich lecke es spitz. Jetzt klappt es reibungslos. Das angeleckte Ende schneide ich mit der<br />
Schere wieder ab.<br />
Sterilität ist schließlich höchstes Gebot!<br />
Auf diese Weise halte ich dann ratz-batz vier Nadeln auf der Werkbank bereit. Auch Nadelhalter,<br />
Zange und Schere.<br />
Der Doktor hat derweilen je eine Ampulle Novocain und Penicillin in einer Spritze<br />
aufgezogen. Mit dem Doppelpack beschickt, ist das ein ganz schöner Koventsmann.<br />
Das Novocain in die aufgeschlitzte Wange gestochen, soll den Schmerz durch die späteren<br />
Stiche mit der Nähnadel erträglicher gestalten. Allerdings faßt der arme Hund auf der Pritsche<br />
rund um seinen Wangenriß auch so ca. acht Stiche mit der fetten Kanüle ab, bis die zwei<br />
Ampullen in seiner lädierten bärtigen Wange untergebracht sind. Das zusätzlich injektierte<br />
Antibiotika soll einer Wundinfektion vorbeugen. „Süßi“ spannt eine Nadel in den Halter und<br />
legt los. Er näht von rechts nach links. Als die krumme Nadel in die stopplige Schwarte pickt,<br />
bildet sich erst eine Delle, dann dringt die Nadel ein. Sie erscheint in dem klaffenden Spalt<br />
und drückt dann gegenüber der Einstichstelle das stoppelige Fell spitz in die Höhe, so<br />
ähnlich wie sich ein Zelt aufstellt, wenn die Zeltstange darunter aufgerichtet wird. Dann<br />
piekst sich endlich die Nadelspitze durch die Bartstoppeln. „Zieh!“ lautet dann das Kommando<br />
des Chefarztes. Ich erfasse mit der Zange die gerade herausguckende Nadelspitze und bin<br />
darauf bedacht, dem Patienten nicht allzu viele Bartstoppeln <strong>bei</strong>m Anreißen aus dem Gesicht<br />
zu zupfen.<br />
Ich mache den Knoten.<br />
Die drei weiteren Stiche gelingen schweigend, wir verstehen uns jetzt als eingespieltes Team<br />
blind.<br />
Medizinalrat Süßmann steht äußerst cool über den Dingen, auch der Patient liegt mit einer<br />
stoischen Ruhe auf der Pritsche. Der Einzige, den die Angelegenheit hier überhaupt tangiert,<br />
bin anscheinend nur ich. Ich knüpfe mit äußerster Mühe den dritten Knoten, wir legen dazu<br />
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