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Wir betreten das Krankenhaus.<br />
Ich bin schockiert. Allerorts, auf Treppen und Fenstersimsen, hocken fliegenumschwirrt<br />
Menschentrauben, Kranke, furchtbar Elende, aber auch deren Besucher und Angehörige,<br />
die ihren kranken Familienmitgliedern hier das Essen bringen. Eine Verpflegung seiner Patienten<br />
bietet das Krankenhaus nicht. Vor den Behandlungszimmern und Krankensälen gibt es<br />
keine Türen, nur Vorhänge. Die sind aber meist nicht zugezogen. Auch Fensterscheiben sind<br />
nicht vorhanden. Grobe Jalousinen-Bretter sind beweglich gegen die Sonneneinstrahlung<br />
verstellbar. Gegen Moskitos, Fliegen und Ungeziefer ist anscheinend kein Schutz vorgesehen.<br />
Die Ärzte dieses Krankenhauses sind, bis auf zwei, sämtlich Ausländer. Die revolutionäre<br />
Volksrepublik Guinea verfügt über zwei einheimische Ärzte. Während der Hafenliegezeit des<br />
Lazarettschiffes MS H O P E waren diese die Alleinberechtigten zur Ausstellung einer Überweisung<br />
auf dieses Schiff. Dafür hatte der Kranke dann die zehntausend Franc zu bezahlen.<br />
Für den Ärztemangel ist die vormalige französische Kolonie sicher nicht allein verantwortlich,<br />
aber von der UNO kostenlos erbrachte Heilbehandlungen kapitalbildend auszunutzen,<br />
das ist schon mehr als pervers.<br />
Der tschechische Botschafter bringt mich in den fünften Stock zu Doktor Konetschny, einem<br />
Landsmann von ihm. Doktor Konetschny leitet die Kinderabteilung und spricht ebenfalls<br />
hervorragend deutsch. „Meine Tante stammt aus Brünn, Herr Doktor, die heißt auch<br />
Konetschny“ beginne ich den Dialog.<br />
Der Doktor betrachtet mein Rummenige-mäßiges Fußballerknie. „Haben sie eine Tetanusimpfung?“<br />
fragt der Doktor als erstes. „Sie können es ruhig sagen und vor meiner Spritze<br />
keine Angst haben, ich habe nämlich kein Serum.“<br />
Und ich keine Tetanus-Impfung.<br />
Einen Verband hätte der Arzt, aber er macht sich auf die Suche nach etwas anderem.<br />
Ich unterhalte mich unterdessen mit seinem Landsmann. „Wissen sie“, sagt der Botschafter<br />
„in diesem Krankenhaus herrschen schlimme Zustände. Es mangelt an allem. Dem Doktor<br />
hier sterben auf seiner Kinderstation im Durchschnitt täglich sechs Säuglinge und er hat<br />
keine Möglichkeiten etwas dagegen zu unternehmen.“<br />
„Der traurige Anblick auf dem Weg hierher“, sage ich „hielt mir ja schon das Leid in diesem<br />
Hause vor Augen. Noch dazu, wo es sich um die renommierteste Gesundheitseinrichtung<br />
des Landes handelt.“<br />
Doktor Konetschny kommt zurück. Bei einem befreundeten Arzt hat er sich im dritten Stock<br />
eine kleine Tube Salbe ausgeborgt. Davon schmiert er mir etwas auf meine Verletzung, dann<br />
drückt er mir die schon arg ausgeknitschte kleine Tube in die Hand: „Das ist Penicillin-Salbe.<br />
Damit bestreichen sie noch zweimal dünn ihre Verletzung und bringen mir die Tube wieder.<br />
Nicht vergessen!“ Der Botschafter gibt seinem Landsmann für die Rücklieferung sein Diplomaten-Ehrenwort<br />
und bringt mich zurück zum Schiff.<br />
Meine nässende Abschürfung verheilt jetzt gut. Vor dem Auslaufen des Schiffes kommt ein<br />
Mitar<strong>bei</strong>ter der tschechischen Botschaft zwecks Rückführung der Salbe. Ich hätte gerne eine<br />
große Tube dieses Heilmittels <strong>bei</strong>gefügt aber 1965 gehört diese Rarität auch nicht zum<br />
Bestand unserer Schiffsapotheke.<br />
Bananenstauden, Schlangen, Tausendfüßler<br />
Das im vorherigen Hafen angeladene Schiff bringt während des Abgammelns im nächsten<br />
Ladehafen den Kapitän immer in mächtige Schwulitäten.<br />
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