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Einmal Mittelmeer und zurück<br />
Vier nervige Wochen Männerulk gehen vor<strong>bei</strong>, vier verbleibende Wochen Semesterferien<br />
leider viel schneller.<br />
Im Dezember brandet im Semester F1A Beifall auf. Unser Fachgebietsleiter, das Funkurgestein<br />
Ernesto Leitzsch, hat <strong>bei</strong>m VEB Deutsche Seereederei eine Praktikumsreise für seine Truppe<br />
klargemacht und kommt auch selbst mit. Ernesto hat keinen pädagogischen Abschluß, so<br />
kommt ein jeder mit ihm gut klar und alle gehen gern mit ihm auf Klassenfahrt ins Mittelmeer.<br />
Ernesto ist eigentlich mehr Kumpel als „big boss“.<br />
Weihnachten verbringe ich zu Hause <strong>bei</strong> meinen Eltern und meinem Mädel. Silvester 1959 um<br />
18.00 Uhr trete ich meine erste Wache auf dem Dampfschiff THÄLMANN PIONIER an.<br />
Vorerst zwölf Stunden lang bis 06.00 Uhr in das neue Jahr hinein und in der Weiterführung<br />
zwei Jahrzehnte in mein kommendes Leben.<br />
Ich bin, wie meine Klassenkameraden auch, als Decksmann gemustert. Das ist die Funktion<br />
eines „Schützen Arsch im letzten Glied“, aber so wird niemand auf dem Schiff behandelt.<br />
Wachhabender Offizier ist der Chiefmate, für Laien, so wie ich einer bin, der I.Offizier. Er hat<br />
zur Silvesterfeier seine Frau an Bord und ist ein umgänglicher Mensch. Er erklärt mir Deppen<br />
das Nötigste für meinen 12-Stunden Törn, insbesondere die Bedienung der Winschen zum<br />
fieren oder tide-hieven (teid) der Vor- oder Achterleinen, falls sich der Wasserstand im Hafenbecken<br />
ändert. Auf meine wißbegierigen Fragen hin, bekomme ich auch erläutert, daß mit<br />
tide-hieven das Straffen der Leine und mit wegfieren deren losegeben gemeint ist. Statt<br />
Winsch kann man aber auch Winde sagen.<br />
Ich ziehe übermotiviert auf dem Schiff meine Kreise. Es ist nur ganz wenig Besatzung an Bord<br />
und die beginnt in der O-Messe schon bald mit der Verabschiedung des alten Jahres. Ernesto<br />
verabschiedet auch mit - und wie!<br />
Ich schaue mir an Deck alles genauestens an und klettere auch auf die Masten, die Saling<br />
und das Peildeck.<br />
„So jede Stunde kannst du schon mal in die O-Messe reinschauen und dir einen abholen“<br />
gestattet mir der Chiefmate. Dem widersetze ich mich nicht.<br />
Oberleutnant Häher hätte jetzt in etwa befohlen: “Stillgestanden auf dem Gangway-Podest!<br />
Stündliche Meldung über Zustand von Mond und Sternen und etwaige Zivilistenbewegungen<br />
an der Pier!“<br />
Die Party-Teilnehmer in der O-Messe zehren vom Vorrat einer 25-Liter-Milchkanne Ananas-<br />
Bowle, aber es stehen auch noch andere geistige Getränke zur Disposition. Der allstündlich<br />
von mir in der Messe abgefaßte Drink, hat nach einer Stunde an Oberdeck in der frischen<br />
winterlichen Seeluft seine Wirkung jedes mal wieder verpufft. So trete ich allstündlich immer<br />
wieder nüchtern an der Milchkanne an.<br />
Um Mitternacht wird die laut Verfallsdatum unbrauchbare Signalmunition von der Brückennock<br />
aus verballert, soweit diese nicht für den gleichen Zweck mit nach Hause genommen wurde.<br />
Bei meinen späteren Reisen habe ich <strong>bei</strong> jeder Silvesternacht in Küstengewässern das<br />
ungute Gefühl, wer in dieser Nacht auf See in Schwierigkeiten gerät, kann rot schießen bis zur<br />
Verdünnung. In dieser Nacht reagiert auf diese Signale niemand. Alle im Hafen liegenden<br />
Schiffe protzen um Punkt 00.00 Uhr ihrer Chronometer-Zeit für etwa 3 Minuten lang mit ihrem<br />
Typhon, ein imposantes Getute. Die Klangkörper der kleinen Barkassen mit ihrem hochtönigen<br />
eunuchischen Gepiepse beteiligen sich ebenso, wie die auf den mittleren Oktaven ar<strong>bei</strong>tenden<br />
Schlepper und Kümos. Chef im Konzert sind natürlich die Großen. Je größer der Schlorren,<br />
je tiefer sein Baß.<br />
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