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Erlebnisse, vieler meiner Berufskollegen verlieren. Besonders im nördlichen Teil Deutschlands<br />
verfährt man nach der Maxime: wat de Buar nich kennt, fret hei nich!<br />
Wir sitzen also mit ca. zwölf Mann im Speiseraum der längsten Bar der Welt. Auf Grund der<br />
moderaten Preise im Seemannsclub, zu den nur ausländische Seeleute Zutritt haben, ist<br />
nahezu jedes lukullische Feuerwerk erschwinglich. Auf unserer Viermann-Back liegt die Speisekarte<br />
unter Glas und ist genauso groß, wie die Tischplatte. Knapp zwei Quadratmeter.<br />
Jedes Gericht ist auf der Fläche in etwa der Größe einer Streichholzschachtel in englisch und<br />
darunter in chinesisch aufgeführt. Hier findet der Ire sein Irish Stew, der Brite seine Ham and<br />
Eggs und, ich ahnte es, der Germane sein Hamburger Schnitzel. Auf diese Kostbarkeit giert<br />
sich nun der größte Teil unserer Leute. Hans serviert demzufolge promt ein Stück Fleisch,<br />
überdeckt mit einem Spiegelei. So wie es das an Bord auch nahezu aller vierzehn Tage gibt.<br />
In zehn Minuten ist alles gegessen.<br />
Das Shanghai-Bier ist vorzüglich, daran kann man sich natürlich noch eine Weile aufschießen.<br />
Wir vier an unserer Back lassen uns beraten, d.h. wir überlassen Hans die Regie. Mit der<br />
einzigen Einschränkung, außer seinen Eßknüppeln auch Löffel bereitzustellen. Messer<br />
braucht man <strong>bei</strong> chinesisch ohnehin nicht. Die Köche zerpitzeln ja schon alles, bevor sie es<br />
in den Topf oder den Wok-Schaffen werfen.<br />
Hans beschließt, daß dreizehn Gänge schon erforderlich wären, um uns einen winzigen<br />
Einblick in chinesische Gourmet-Freuden zu verschaffen und fährt dementsprechend auf.<br />
Zuerst legt er eine weiße Leinendecke auf die Glasplatte. Dann stellt er als ersten Gang eine<br />
Suppenterrine auf die eine Ecke des Tisches und bedient im ersten Ar<strong>bei</strong>tsgang den Gast auf<br />
der entgegengesetzten Seite des Tisches mit der Suppe, indem er mit der triefenden Suppenkelle<br />
erst einmal eine Diagonale über die weiße Tischdecke zu dem Napf des am weitesten<br />
davon entfernten Gastes zeichnet. Das ist ein Ritual und zeigt dem Gast gleich zu Beginn:<br />
Hier gibt es keine Etikette, hier zählt nur der Genuß, hier kannst du moddern und matzen nach<br />
Herzenslust.<br />
Hans schleppt gemäß seiner von uns akzeptierten Menü-Beratung die seltsamsten<br />
Genüßlichkeiten heran.<br />
Es mundet, oder wie der Italiener sagt: el mundo!<br />
Beim fünften Gang serviert Serviermeister Hans runde Radiergummis in Schlackemaschü<br />
von der Größe eines Tischtennisballs. Diese Biester haben eine derartige Konsistenz, daß<br />
einen der Oberkiefer sofort wieder hochschnipst, wenn man versucht, die Bällchen bißmäßig<br />
zu durchtrennen. Schneidwerkzeuge, wie Messer, oder noch besser Stichsägen oder Trennschleifer<br />
werden dem Gast an chinesischen Tischen nicht geboten. Die Normalausrüstung<br />
bietet ja nur Stäbchen, wir verfügen mit Sonderausstattung noch über Löffel.<br />
Als Hans mit dem sechsten Gang wieder anrauscht, bewerfe ich ihn zur Begrüßung mit den<br />
seltsamen, als eßbar bezeichneten Radiergummis des fünften Ganges.<br />
Wir dürfen ja rummatzen.<br />
Die Radiergummis vom Gang fünf werden von Hans als Krabbenklöße enttarnt.<br />
Wir spenden sie für das chinesische Winterhilfswerk.<br />
Die Gänge sechs bis dreizehn hauen dann, bis auf einen, wieder hin.<br />
„Hans, Jussus, Maria und Joosef, sakra, was ist dös?“ befrage ich ihn, während ich in einem<br />
seltsamen Schmadder herumstochere, der unangenehmer aussieht, als er eigentlich schmeckt.<br />
„Hans, was hast du uns da serviert? Geselchtes Faschiertes mit Peuschel und Ribisseln in<br />
Paradeisersoße?“„Seegurke“ wäre der Grundbestandteil dieser Delikatesse, erklärt er uns mit<br />
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