Die Religion der Baul-Gemeinschaft
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hirtenfrauen im Dorf jeden Tag zum Markt, um dort die Milchprodukte zu verkaufen. Der<br />
Kuhhirt Krishna indessen hütete die Kühe seiner Eltern. Eines Tages, auf dem Rückweg<br />
nach Hause, verlor Barayi Radha, die sich mit bei den jungen Kuhhirtenfrauen aufhielt. Barayi<br />
ging zu Krishna, <strong>der</strong> mit seinen Kühen in <strong>der</strong> Nähe war und fragte, ob er Radha gesehen<br />
hätte. Da aber Krishna bis zu diesem Zeitpunkt Radha noch nicht gekannt hatte, mußte<br />
Barayi ihm Radha beschreiben. <strong>Die</strong> Beschreibung von Radhas Schönheit führte dazu, daß<br />
Krishna sich in sie verliebte. Barayi mußte ihm ein Zusammentreffen mit Radha versprechen.<br />
Barayi brachte Radha die Nachricht, daß Nandas Sohn sich in sie verliebt hätte und ihre<br />
Gesellschaft wünschte. Radha lehnte eine Liebesbeziehung mit <strong>der</strong> Begründung ab, daß sie<br />
verheiratet sei. Krishnas unbändige Liebe zur Radha führte dazu, daß er wie<strong>der</strong>holt<br />
versuchte, Radha zu überreden. Auch Barayi schickte er als seine Botin. Auf Radhas täglichem<br />
Marktgang bot er sich ihr als Gepäckträger an, um ihre Liebe zu gewinnen. Er erniedrigte<br />
sich und bettelte um ihre Zuneigung. Trotz aller Bemühung blieb Krishna erfolglos.<br />
Daß Gott sich in seine Schöpfung Mensch verliebt und ohne seine Gegenliebe unglücklich<br />
bleibt, ist ein neuer Aspekt, den Caitanya in den Hinduismus eingeführt hat. <strong>Die</strong>ser Krishna<br />
ist nicht <strong>der</strong> erhabene Krishna <strong>der</strong> Bhagavadgita o<strong>der</strong> <strong>der</strong> übergeordnete Vishnu <strong>der</strong> Puranas.<br />
Er ist <strong>der</strong> Geliebte, dem man mit glühen<strong>der</strong> Passion entgegenkommt. Um Radha für<br />
sich zu gewinnen, erdachte sich Krishna eine Möglichkeit. Er baute sich eine Flöte. Auf<br />
dieser Flöte spielte er den mystischen Ton Om. 95 Der mystische Ton wirkte auf Radha in<br />
wun<strong>der</strong>barer Weise. Was Krishnas ganze Bemühung nicht bewirken konnte, wurde leicht<br />
mit dem Ton Om erzielt. Sobald Radha Krishnas Flötenspiel hörte, entflammte in ihrem<br />
Herzen die unbändige, leidenschaftliche Liebe für ihn. Ab jetzt wurde Krishna zu ihrem<br />
Lebensinhalt. <strong>Die</strong> Meinung <strong>der</strong> Gesellschaft o<strong>der</strong> ihrer angeheirateten Familie kümmerte sie<br />
nicht. Trotz des Verbotes und wie<strong>der</strong>holter Strafen, die ihr von ihrer Schwiegermutter<br />
aufgezwungen wurden, traf sie sich heimlich mit Krishna. Am Ufer des Flusses Yamuna in<br />
den Gärten von Vrindavan kosteten sie ihre Liebe aus. <strong>Die</strong> bengalische Vaisnava-Literatur<br />
ist reich an Beschreibungen dieser Szenen. 96 Radhas ganze Gedanken, ihr ganzes Leben galt<br />
nun <strong>der</strong> Liebe zu Krishna. Das Flötenspiel von Krishna, das in Radha, die hier die Menschen<br />
verkörpert, die Liebe zu Gott erweckt hat, spielt in <strong>der</strong> Vaisnava-Literatur eine zentrale<br />
Symbolrolle. Gott liebt seine Schöpfung Mensch. Wenn <strong>der</strong> Mensch aus Unwissenheit Gott<br />
vergißt, gibt Gott Hilfestellung, damit er zu ihm zurückfindet. <strong>Die</strong> Melodie <strong>der</strong> Flöte ist<br />
Gottes mystische Berührung, die für Radha unwi<strong>der</strong>stehlich war.<br />
Vergleicht man Krishna <strong>der</strong> <strong>Baul</strong>-Lie<strong>der</strong> mit Krishna <strong>der</strong> oben zitierten Legende, stellt man<br />
fest, daß <strong>der</strong> Krishna <strong>der</strong> <strong>Baul</strong>s mit dem Krishna <strong>der</strong> Caitanya-Vaisnava-Literatur identisch<br />
ist. Als Caitanya-Vaisnavs finden die <strong>Baul</strong>s gerade eine beson<strong>der</strong>e Freude Gott als Krishna<br />
darzustellen (s. Anhang <strong>Baul</strong>-Lie<strong>der</strong>).<br />
<strong>Die</strong> Beziehung zwischen dem <strong>Baul</strong> und seinem Gott Krishna<br />
Als Caitanya-Vaisnavs glauben die <strong>Baul</strong>s, daß alle Menschen, ob Mann o<strong>der</strong> Frau, Shaktis<br />
sind. Daher projizieren die <strong>Baul</strong>s Radha auf sich selbst. <strong>Die</strong>s bedeutet, die <strong>Baul</strong>-<strong>Religion</strong><br />
projiziert die verbotene Liebe zwischen Mann und Frau auf Gott und sich selbst. <strong>Die</strong>s entspricht<br />
genau <strong>der</strong> Beziehung zwischen Gott und dem Menschen im Caitanya-Vaishnavismus,<br />
wie sie von Krishnadas Kabiraj in Shri-shri-caitanya-caritamrita, Adilila, IV dargestellt<br />
wird. <strong>Die</strong> Liebesbeziehung zwischen Gott und dem Menschen beruht auf Gegenseitigkeit.<br />
Daher befindet sich <strong>der</strong> <strong>Baul</strong> hier auf <strong>der</strong>selben Ebene wie Gott. Hier herrscht die<br />
95 Über Om in: Svami Mukhyananda: Om, Gayatri and Sandhya, Mylapore, 1-3, 9-16, 27 und 36-37<br />
96 Vgl. Khagendra Nath Mitra (Ed.): Vaisnava-padavali, Kalikata, 1996, 1-108<br />
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