Die Religion der Baul-Gemeinschaft
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Fontanelle und das Muladhara-cakra im Beckenplexus. Gott fühlt sich ständig von seiner<br />
Shakti angezogen. Einmal im Monat kommt er herunter von seinem Wohnort und trifft die<br />
Shakti im Muladhara-cakra. Es ist eindeutig, daß das Gottesbild <strong>der</strong> <strong>Baul</strong>s ein Produkt<br />
lückenhafter Kenntnisse über die Upanishaden und Puranas ist, gemischt mit den eigenen<br />
Empfindungen. So ist er einmal das formlose Brahman <strong>der</strong> Upanishaden, ein an<strong>der</strong>es Mal<br />
<strong>der</strong> souveräne Gottvater bzw. die Gottmutter <strong>der</strong> Puranas und ein weiteres Mal ein<br />
gewöhnlicher Mann. Vor allem aber ist <strong>der</strong> Gott <strong>der</strong> <strong>Baul</strong>s <strong>der</strong> Geliebte. Das Gottesbild <strong>der</strong><br />
<strong>Baul</strong>s, die Caitanya-orientierte Vaisnavs sind, ist vom Bild <strong>der</strong> Liebe zwischen Krishna und<br />
seiner Geliebten Radha am stärksten geprägt. Radha, die Ehefrau eines an<strong>der</strong>en, liebte<br />
Krishna leidenschaftlich. Krishna erwi<strong>der</strong>te dieser Liebe mit <strong>der</strong> gleichen Intensität. <strong>Die</strong><br />
Lie<strong>der</strong> <strong>der</strong> <strong>Baul</strong>s drücken diese Passion aus, die Gott und <strong>der</strong> Mensch füreinan<strong>der</strong><br />
empfinden.<br />
Als Shudras und Kastenlosen dürfen die <strong>Baul</strong>s nicht die Feste <strong>der</strong> oberen Kasten feiern. <strong>Die</strong>s<br />
hin<strong>der</strong>t sie aber nicht, ihre Feste auf ihre Weise zu feiern. Vergleicht man die Feste und<br />
Rituale <strong>der</strong> <strong>Baul</strong>s mit den Festen und Ritualen <strong>der</strong> Brahmanas, Kshatriyas und Vaishyas, so<br />
stellt man fest, daß die Festlichkeiten <strong>der</strong> <strong>Baul</strong>s vereinfachte Formen <strong>der</strong> Festlichkeiten <strong>der</strong><br />
oberen Kasten sind. Interessant ist jedoch, daß obwohl die <strong>Baul</strong>s gerne Feste feiern,<br />
Gottesverehrung praktizieren und Pilgerfahrten machen, sie heftige Kritik an diesen<br />
religiösen Praktiken üben. Gewöhnlich, aber nicht immer, verzichten sie auf Götterbil<strong>der</strong>.<br />
Bei einigen <strong>Baul</strong>s, wie z. B. bei Purnadas <strong>Baul</strong>, wohnhaft in Kalkutta sowie im Dorf<br />
Daskala-grama und Naksatradas <strong>Baul</strong>, wohnhaft im Dorf Ahmedpur, beobachtet man eine<br />
wachsende Zuneigung zu Götterbil<strong>der</strong>n. Caitanya gilt bei den <strong>Baul</strong>s als die Inkarnation von<br />
Krishna und seiner Geliebten Radha in einer Person. Purnadas <strong>Baul</strong> und seine<br />
Glaubensbrü<strong>der</strong> vollziehen vor dem Bildnis Caitanyas Gottesverehrung auf traditionelle<br />
Weise, d. h. mit Speise, Blumen, Weihrauch etc. Sie nennen diese Art <strong>der</strong> Verehrung Malsabhog,<br />
die Opferung <strong>der</strong> Speise im Tontopf. Das Malsa-bhog wird zu verschiedenen<br />
Anlässen praktiziert, z. B. bei <strong>der</strong> Kanthi-badal-Zeremonie und <strong>der</strong> Totenzeremonie.<br />
<strong>Die</strong> Melas, d. h. Treffen, sind die wichtigsten Feste <strong>der</strong> <strong>Baul</strong>s. Das größte Treffen ist das<br />
Jyadeva-kenduli-mela, das gegen Mitte Januar im Dorf Kenduli, auch Kenduvilla genannt,<br />
stattfindet. Der Lyriker Jayadeva (ca. 1100 n. Chr.) wird von den <strong>Baul</strong>s als einer ihrer Vorgänger<br />
verehrt. Jayadeva verfaßte den Gedichtband Gitagovinda, <strong>der</strong> über die göttliche<br />
Liebe zwischen Krishna und Radha berichtet. <strong>Die</strong>se Gedichte werden in vielen Vishnuitischen<br />
Tempeln, beson<strong>der</strong>s in den Tempeln <strong>der</strong> Caitanya-orientierten Vaisnavs, gesungen.<br />
Jayadeva lebte und verfaßte Gitagovinda in Kenduli. Im Dorf Kenduli erlangte Jayadeva die<br />
Erleuchtung. Einmal im Jahr treffen sich die <strong>Baul</strong>s hier, um durch Gesang und gemeinsame<br />
Mahlzeit Jayadeva ihre Verehrung entgegenzubringen. <strong>Die</strong> gemeinsame Mahlzeit, an <strong>der</strong><br />
alle Anhänger Caitanyas unabhängig von ihrer Kastenzugehörigkeit teilnehmen, wurde von<br />
Caitanya selbst eingeführt. Er wollte damit gegen die Bestimmung <strong>der</strong> Dharma-shastras, die<br />
den Angehörigen <strong>der</strong> drei oberen Kasten eine gemeinsame Mahlzeit mit den Shudras und<br />
den Kastenlosen verbieten, da sie sonst dadurch unrein werden, demonstrieren. Unter<br />
Caitanyas Anhängern befanden sich Angehörige aller Kasten, daher war die gemeinsame<br />
Mahlzeit sinnvoll. <strong>Die</strong> <strong>Baul</strong>s aber sind selbst Shudras und Kastenlose. Wenn sie gemeinsam<br />
essen, dann speisen sie unter sich. Hier entfällt <strong>der</strong> Grund, warum Caitanya wollte, daß seine<br />
Anhänger miteinan<strong>der</strong> essen. <strong>Die</strong> gemeinsame Mahlzeit ist jedoch eine Tradition <strong>der</strong><br />
Caitanya-orientierten Vaisnavs und wird auch heute noch praktiziert. <strong>Die</strong> <strong>Baul</strong>s pflegen<br />
diese Tradition als Caitanya-orientierte Vaisnavs. Weitere nennenswerte Treffen sind das<br />
Kartabhaja-mela, das Paush-mela und das Magh-mela. Das Kartabhaja-mela ist ein<br />
religiöses Treffen <strong>der</strong> <strong>Religion</strong>sgemeinschaft <strong>der</strong> Kartabhajas, Verehrer des Gurus. Es findet<br />
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