Die Religion der Baul-Gemeinschaft
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Gleichberechtigung. Gott und <strong>der</strong> <strong>Baul</strong> teilen die gleichen Empfindungen und sind gefühlsmäßig<br />
abhängig voneinan<strong>der</strong> (s. Anhang <strong>Baul</strong>-Lie<strong>der</strong>).<br />
In ihren Lie<strong>der</strong>n beklagen sich die <strong>Baul</strong>s, daß ihre Liebe zu Krishna nicht intensiv genug ist.<br />
Der Leser wir hier darauf aufmerksam gemacht, daß die <strong>Baul</strong>s in solchen Fällen sich oft als<br />
eine Frau betrachten und sich mit Radha identifizieren, die mit ihrer Freundin spricht (s.<br />
Anhang <strong>Baul</strong>-Lie<strong>der</strong>).<br />
Gott, <strong>der</strong> Purusha<br />
<strong>Die</strong> <strong>Baul</strong>s nennen Gott unter an<strong>der</strong>em Purusha, den Mann, den Menschen (s. Anhang <strong>Baul</strong>-<br />
Lie<strong>der</strong>). Er ist bewegungslos. Weil er kein Konglomerat ist, steht er über den Gunas, den<br />
Eigenschaften <strong>der</strong> Prakriti. 97 Da er von den Gunas frei ist, ist er <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>geburt nicht<br />
unterworfen. Wie<strong>der</strong>geburt erleidet nur <strong>der</strong>, <strong>der</strong> in sich die drei Gunas beinhaltet. Weil er<br />
die Gunas transzendiert, ist er formlos. <strong>Die</strong> Glückseligkeit (anandam) des Purusha ist nicht<br />
vergleichbar mit <strong>der</strong> weltlichen vergänglichen Freude, die ein Produkt <strong>der</strong> Zusammenkunft<br />
<strong>der</strong> Prakriti und <strong>der</strong> individuellen Seele (jivatma) ist. <strong>Die</strong> Glückseligkeit des Purushas ist<br />
unvergänglich. Obwohl Purusha in einem menschlichen Körper wohnt, ist er niemals dem<br />
Leid unterworfen. Purusha bleibt von allen Verän<strong>der</strong>ungen, denen <strong>der</strong> Mensch unterworfen<br />
ist, unangetastet. Der Kontakt mit dem menschlichen Körper führt lediglich dazu, daß Purusha<br />
sich blitzartig im Ajña-cakra reflektiert. Der <strong>Baul</strong> nimmt diese Reflexion wahr und<br />
erlebt Gott (s. Anhang <strong>Baul</strong>-Lie<strong>der</strong>). <strong>Die</strong> Freude des Gotteserlebnisses des <strong>Baul</strong>s ist aber<br />
nicht dauerhaft. Der <strong>Baul</strong> erlebt Gott, wie man den Blitz wahrnimmt. <strong>Die</strong> Natur dieses<br />
Lichtes ist rein (sattvika) und nicht mit dem gewöhnlichen Licht zu vergleichen. Der Vergleich<br />
des Paramatma, <strong>der</strong> kosmischen Seele, mit dem Licht ist im Sankhya-System festzustellen.<br />
98 Offen bleibt die Frage, ob die <strong>Baul</strong>s an die Existenz mehrerer Purushas glauben,<br />
wie das Sankhya-System es tut, o<strong>der</strong> ob sie die Meinung vertreten, daß <strong>der</strong> eine Purusha<br />
sich vervielfältigt und gleichzeitig in mehreren Körpern wohnt. <strong>Die</strong> Lie<strong>der</strong> geben uns keine<br />
Auskunft hierüber. In den Gesprächen wollten die <strong>Baul</strong>s sich nicht auf eine dieser Sichtweisen<br />
festlegen. <strong>Die</strong>s zeigt, daß sie gleichzeitig an zwei wi<strong>der</strong>sprüchliche Theorien glauben,<br />
an die Theorie des Advaita-vedanta 99 - das eine Brahman manifestiert sich als viele<br />
Seelen (atma) - und an die vom Sankhya-System dargestellte Theorie - es existieren voneinan<strong>der</strong><br />
unabhängig mehrere Purushas. <strong>Die</strong> Lie<strong>der</strong> präsentieren keine zufriedenstellende<br />
Synthese bei<strong>der</strong> Theorien. In ihren Lie<strong>der</strong>n beschreiben die <strong>Baul</strong>s Gott als den Bewohner<br />
des Sahasrara-cakra (s. Anhang <strong>Baul</strong>-Lie<strong>der</strong>)<br />
Gottes Wohnort<br />
In zahlreichen Lie<strong>der</strong>n behaupten die <strong>Baul</strong>s, Gott wohne nicht draußen im Tempel, son<strong>der</strong>n<br />
im Menschenkörper. Deshalb kann man ihn nur in einem Menschenkörper suchen und finden<br />
(s. Anhang <strong>Baul</strong>-Lie<strong>der</strong>). Der genaue Wohnort des Gottes is <strong>der</strong> Sahasrara-cakra (s.<br />
Kapitel 3). <strong>Die</strong>se Feststellung beeinflußt die <strong>Religion</strong> weitgehend. Auf Grund dieser Theorie<br />
verlieren die religiösen Zeremonien, wie Gottesverehrung vor dem Altar, o<strong>der</strong> das Baden im<br />
Ganges, für die <strong>Baul</strong>s ihre Bedeutung. Idealerweise sollte ein <strong>Baul</strong> auf alle Rituale<br />
verzichten, außer auf den ritualen Yoga und sich vollkommen auf Gott im menschlichen<br />
Körper konzentrieren.<br />
97<br />
Über die Prakriti, ihrer Gunas und die Entstehung <strong>der</strong> Welt s. Sarvepalli Radhakrishnan: Indian Philosophy,<br />
Vol. 2, London, 1977, 259-277<br />
98<br />
Vgl. Surendra Nath Dasgupta: History of Indian Philosophy, Vol. 1, Delhi, 1975, 212 und 239<br />
99<br />
Über Advaita-vedanta s. Sarvepalli Radhakrishnan: Indian Philosophy, Vol. 2, London, 1977, 445-658<br />
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