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Neue Wege beruflicher Qualifizierung zur Stärkung der ...

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Quellenauszug 2: Deutsch-französischer Modellversuch „Contrôle continu“*<br />

Im Rahmen des Vertrages über die deutsch-französische<br />

Zusammenarbeit von 1963 wurde in den Jahren 1975 bis<br />

1980 <strong>der</strong> Modellversuch <strong>zur</strong> Erprobung des Systems<br />

Contrôle continu, d. h. <strong>der</strong> fortlaufenden Lernkontrolle,<br />

in ausgewählten gewerblich-technischen Berufsbildungsgängen<br />

auf Facharbeiterebene durchgeführt. Die<br />

Fe<strong>der</strong>führung lag auf französischer Seite beim Erziehungsministerium,<br />

auf deutscher Seite beim Bevollmächtigten<br />

für kulturelle Angelegenheiten im Rahmen <strong>der</strong><br />

deutsch-französischen Kooperation. Dies war damals <strong>der</strong><br />

baden-württembergische Ministerpräsident Dr. Hans Filbinger.<br />

Ausgangspunkt des Modellversuchs war in beiden Län<strong>der</strong>n<br />

die Problematik <strong>der</strong> Ermittlung <strong>der</strong> Berufsqualifikation<br />

durch punktuelle Abschlussprüfungen am Ende <strong>der</strong> in <strong>der</strong><br />

Regel dreijährigen Berufsausbildung. Dadurch konnte erst<br />

zum Abschluss <strong>der</strong> gesamten Ausbildungszeit festgestellt<br />

wurde, ob <strong>der</strong> Ausbildungsprozess erfolgreich war. In<br />

Frankreich bestanden bis zu 50 % <strong>der</strong> in den beruflichen<br />

Vollzeitschulen Ausgebildeten die Abschlussprüfung nicht,<br />

in Deutschland ca. 12 %. Der Unterschied in den Nichtbestehensquoten<br />

beruhte wohl in erster Linie darauf, dass in<br />

Frankreich neben den berufsbezogenen Ausbildungsinhalten<br />

die Leistungen in den allgemeinen Fächern – wie<br />

Französisch, Fremdsprache, Mathematik und an<strong>der</strong>e – für<br />

das Ergebnis voll maßgeblich sind. Die Ausbildungsabschlussprüfungen<br />

nach dem deutschen Berufsbildungsgesetz<br />

erstrecken sich zwar auch auf den Stoff <strong>der</strong> Berufsschule,<br />

jedoch nur, soweit dieser nach <strong>der</strong> Ausbildungsordnung<br />

für die Berufsausbildung wesentlich ist. Die<br />

Leistungen in den allgemeinen Fächern sind nur für den<br />

Abschluss <strong>der</strong> Berufsschule relevant.<br />

Frankreich entwickelte im Verbund mit <strong>der</strong> fortlaufenden<br />

Leistungsfeststellung ein neues curriculares Konzept <strong>der</strong><br />

Glie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Ausbildungspläne in mehrere Ausbildungsabschnitte<br />

und die Beschreibung <strong>der</strong> Lerninhalte als Lernziele.<br />

Die bewerteten Ergebnisse <strong>der</strong> laufenden Lernkontrollen<br />

gehen als anrechenbare Einheiten – Unités capitalisables<br />

– in Abschnittszeugnisse ein, aus denen dann<br />

abschließend die Berufsqualifikation – ohne Abschlussprüfung<br />

– ermittelt wird.<br />

Diese Konzeption korrespondierte unmittelbar mit deutschen<br />

Bestrebungen, während <strong>der</strong> betrieblichen Ausbildung erbrachte<br />

Lernleistungen in den Abschlussverfahren nach dem<br />

Berufsbildungsgesetz zu berücksichtigen, ja, wenn möglich,<br />

von den rein punktuellen Abschlussprüfungen ganz weg zu<br />

kommen. Zugleich bot sich die Möglichkeit, aktuelle pädagogisch-didaktische<br />

Entwicklungen im dualen System zu<br />

erproben, so beispielsweise die Verbesserung <strong>der</strong> Abstimmung<br />

und Zusammenarbeit zwischen Ausbildungsbetrieb<br />

und Berufsschule.<br />

Auf deutscher Seite nahmen Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz<br />

und das Saarland am Modellversuch teil. Ausgewählt<br />

wurden die anerkannten Ausbildungsberufe Elektroanlageninstallateur,<br />

Maschinenschlosser und Betriebsschlosser.<br />

Auf französischer Seite wurde Berufe mit vergleichbarem<br />

Profil ausgewählt.<br />

137<br />

Der Bundesminister für Wirtschaft erließ im Einvernehmen<br />

mit dem Bundesminister für Bildung und Wissenschaft<br />

eine spezielle Verordnung für den Modellversuch,<br />

die u. a. festlegte, dass zwecks Durchführung laufen<strong>der</strong><br />

Lernkontrollen die betriebliche Ausbildung und <strong>der</strong> Berufsschulunterricht<br />

inhaltlich und zeitlich möglichst eng<br />

aufeinan<strong>der</strong> abgestimmt werden müssen; die curricularen<br />

Grundlagen – Ausbildungs- und Lehrpläne – sind darauf<br />

aus<strong>zur</strong>ichten. Auch die beteiligten Kultusministerien erarbeiteten<br />

für den Modellversuch Rechtsvorschriften auf <strong>der</strong><br />

Basis ihrer Schulgesetze.<br />

Es wurden beson<strong>der</strong>e Ausbildungsrahmenpläne erarbeitet,<br />

geglie<strong>der</strong>t in vier Ausbildungsabschnitte für den Elektroanlageninstallateur<br />

(zweijährige Ausbildungsdauer) und in<br />

fünf Ausbildungsabschnitte für Betriebsschlosser und<br />

Maschinenschlosser (dreijährige Ausbildung). Die Dauer<br />

<strong>der</strong> Ausbildungsabschnitte betrug in Folge: 3, 9, 6, 6, 12<br />

Monate. Für jeden Abschnitt wurden die jeweils zu vermittelnden<br />

Kenntnisse und Fertigkeiten als Abschnittsziele,<br />

abgeleitet aus dem Gesamtberufsbild, formuliert. Zur<br />

Kontrolle, Bewertung und Zertifizierung des Lernerfolgs<br />

wurden bei den zuständigen Stellen (Kammern) Prüfungsausschüsse<br />

bestellt.<br />

Bei <strong>der</strong> Bewertung waren Leistungsnachweise, die in dem<br />

jeweiligen Ausbildungsabschnitt in <strong>der</strong> Berufsschule erbracht<br />

worden sind, einzubeziehen, soweit sie für die Berufsausbildung<br />

wesentlichen Lehrstoff betrafen.<br />

Die Erteilung des Ausbildungsabschlusszeugnisses erfolgte<br />

durch die zuständige Stelle auf Antrag des Auszubildenden,<br />

wenn <strong>der</strong> Prüfungsausschuss festgestellt hatte, dass<br />

die in den vorgelegten Abschnittszeugnissen nachgewiesenen<br />

Ausbildungsleistungen den in <strong>der</strong> Abschlussprüfung<br />

zu erbringenden Prüfungsleistungen entsprachen.<br />

Die curriculare Arbeit lag bei Expertengruppen für die<br />

einbezogenen Berufsfel<strong>der</strong>.<br />

Insgesamt haben innerhalb <strong>der</strong> fünfjährigen Versuchslaufzeit<br />

784 Auszubildende/Schüler die Ausbildung begonnen<br />

und 723 erfolgreich abgeschlossen. Die Versuchsergebnisse<br />

waren insgesamt positiv. So zeigte sich z. B. dass die<br />

Ausbildungsplanung, <strong>der</strong>en Ablauf und die Stoffabstimmung<br />

besser funktionierten und gegenüber punktuellen<br />

Prüfungen ein Vielfaches an Ausbildungsinhalten erfasst<br />

werden konnte. Allerdings entstanden Ausbildungsbetrieben<br />

und Berufsschulen zusätzliche Personal- und Sachkosten.<br />

Über die Auswertung <strong>der</strong> Erprobung und die Anwendung<br />

des Systems Contrôle continu in Frankreich stehen aktuelle<br />

Informationen nicht <strong>zur</strong> Verfügung.<br />

Offen blieb trotz <strong>der</strong> eindeutig positiven Versuchsergebnisse<br />

die Frage, inwieweit das Modell Contrôle Continu<br />

übertragbar ist. Zu dieser Frage gingen die Auffassungen<br />

zwischen dem DIHT und den an<strong>der</strong>en am Versuch Beteiligten<br />

auseinan<strong>der</strong>. Dies hatte <strong>zur</strong> Folge, dass die Versuchsergebnisse<br />

nicht zu einer Än<strong>der</strong>ung des BBiG führten<br />

und auch die bis 31. Juli 1980 befristete Rechtsverordnung<br />

für weitere Erprobungen mit an<strong>der</strong>en Ausbildungsberufen<br />

o<strong>der</strong> Standorten nicht verlängert wurde.<br />

* Zusammenfassung des Beitrags von Rolf Sitzmann: „Modellversuch <strong>zur</strong> Erprobung einer neuen Ausbildungsform<br />

„Contrôle continu“ in den Län<strong>der</strong>n Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Saarland – 1975 bis 1980“ in G. Rothe 2008,<br />

a.a.O., S. 473–477

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