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individuelle Maß von fachspezifischem Wissen und Können gar nicht zur<br />

Debatte, und eine Problematisierung des Schreibens gerät damit nicht so<br />

leicht zur Gefahr oder gar zum Frontalangriff auf das eigene, ohnehin<br />

oft brüchige Selbstverständnis als WissenschaftlerIn. Die GruppenteilnehmerInnen<br />

finden sich in einer Doppelrolle: Bezüglich des Schreibens<br />

sind sie teils Lernende, bezüglich der jeweiligen fachlichen Inhalte sind<br />

sie ExpertInnen in einer Gruppe von interessierten Laien. Es hat sich als<br />

sehr produktiv erwiesen, in der Eingangsphase von Schreibseminaren,<br />

die sich an bereits praktizierende WissenschaftlerInnen richten, ganz<br />

explizit zu erarbeiten, wie umfangreich eigentlich vielfach das „Habenkonto“<br />

bezüglich des Schreibens ist. Das heißt, welche Arten von Wissenschaftstexten<br />

bereits erfolgreich verfasst wurden. Daraus ergibt sich<br />

unserer Erfahrung nach eine positive Dynamik, was die Akzeptanz von<br />

konstruktiver Kritik und Verbesserungsvorschlägen betrifft.<br />

Wir haben oben argumentiert, dass Schreiben einen starken kognitiven<br />

Anteil hat und sich wissenschaftlicher Prozess und Schreiben deshalb<br />

nur schwer voneinander trennen lassen. In dem Schreibmodell von Hayes<br />

ist dieser Sachverhalt in der Begriffstrias text interpretation – reflection –<br />

text production zusammengefasst, von denen jeder einen Teilaspekt des<br />

Schreibprozesses darstellt (Hayes 1996, 4). Textinterpretation und die<br />

vorgeschaltete Recherchetätigkeit dienen zur Herstellung interner Repräsentationen<br />

über ein fachliches Thema. Auf diesen Schritt konzentriert<br />

die universitäre Lehre sich meist, daneben werden formale Aspekte der<br />

Textproduktion behandelt (Zitierkonventionen, Fußnoten usw., siehe<br />

oben). Die Bearbeitung der erworbenen und die Produktion neuer<br />

Repräsentationen im Schritt der reflection hingegen hat in einem strikt<br />

individualistischen Schreibmodell etwas schwer Fassbares, ja Mysteriöses<br />

an sich, und es lässt sich demgemäß wenig darüber sagen und lehren. So<br />

entsteht in den Geistes- und Kulturwissenschaften (aber nicht nur dort)<br />

ein tendenzieller Widerspruch zwischen einem strikt individualistischen<br />

Schreibmodell und dem Ziel der wissenschaftlichen Sozialisation, die<br />

zwar Praktiken der Wissensverarbeitung und -reflexion einfordert, sie<br />

aber häufig nicht benennen kann.<br />

Ein umfassenderes Modell des Schreibens als das rein kognitiv-individuelle<br />

vermag zur Auflösung dieses Widerspruchs beizutragen. Ein solches<br />

Modell ist zwar wesentlich komplexer, es macht das Schreiben aber<br />

paradoxerweise leichter fassbar. Auf der Ebene des Individuums besteht<br />

Schreiben demnach nicht nur aus einer Komponente kognitiver Prozesse,<br />

sondern auch aus einer Komponente affektiver Haltungen und Motivationen<br />

sowie einer Gedächtnisleistung (Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis).<br />

Zudem ist das Individuum eingebettet in eine physische Umgebung<br />

(schon geschriebener Text, Schreibmedium) und eine soziale Umgebung<br />

(AdressatInnen, MitautorInnen). Inhalte des Langzeitgedächtnisses stellen<br />

strategisches Wissen bereit, das in den Schreibprozess regulierend<br />

eingreift. Dieses Wissen betrifft vor allem die Bereiche: Thema, AdressatInnen,<br />

Sprachstrukturen (Genres, Grammatik). Der Bereich Thema<br />

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