linguistische
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Wir würden ein realistischeres Bild vom Arbeitsalltag in der Wissenschaft<br />
bekommen, wenn Lehrende über ihre eigenen Forschungsprozesse<br />
berichten und nicht bloß Ausgangslage und Ergebnisse präsentieren würden;<br />
wenn wir erfahren könnten, wie Lehrende selbst bei ihrer Arbeit als<br />
ForscherInnen vorgehen – was tun sie warum auf diese oder jene Art und<br />
Weise? Wir nehmen inzwischen an, dass auch die Texte der Lehrenden<br />
Ergebnis eines langwierigen Schreibprozesses sind und dass dabei die<br />
Lehrenden selbst mit Problemen, Schwierigkeiten und Unsicherheiten zu<br />
kämpfen haben. Würden Studierende bereits früh im Studium in Forschungsprozesse<br />
und in die diese Prozesse begleitenden, tragenden, vorwärts<br />
treibenden Schreibprozesse einbezogen, zunächst wohl vor allem<br />
übungshalber, könnten sie auf zwei Arten mit Wissenschaft in Berührung<br />
kommen: zum einen durch ihre eigene (Mit-)Arbeit und zum anderen da<br />
und dort durch Beobachtung der Forschenden. Solche belebende Erfahrung<br />
würde es, so erwarten wir, Studierenden erleichtern, sich auch mit<br />
anderen im Studium erworbenen Inhalten schreibend, erkundend, sich<br />
Wissen aneignend und produzierend auseinander zu setzen. Vielleicht<br />
böte ja auch das im neuen Studienplan Pädagogik vorgeschriebene Forschungspraktikum<br />
die Möglichkeit, als Studierende/r in die Tätigkeit von<br />
WissenschaftlerInnen eingebunden zu werden. Dass solche Wünsche<br />
überhaupt geäußert werden müssen, zeigt, dass sich, u.a. aufgrund von<br />
Personalressourcenmangel, Arbeitsüberlastung Lehrender und finanziellem<br />
Druck auf Studierende, das Universitätsstudium in nicht wenigen<br />
Studienrichtungen von dem entfernt hat, was es seinem Anspruch nach<br />
ausmacht.<br />
Um von Forschungspraktika profitieren zu können, bedarf es einer offeneren,<br />
weniger von hierarchischen Strukturen bestimmten Gestaltung der<br />
Beziehungsebene zwischen Lehrenden und Studierenden. Denn manche<br />
unserer hier beschriebenen Schwierigkeiten und ihre Auswirkungen auf<br />
das Schreiben entstanden durch Hierarchien – sowohl durch solche in<br />
der Institution (vgl. die Beiträge von Haacke/Frank und Kruse in diesem<br />
Sammelband) als auch durch solche in unserer Vorstellung über die<br />
Institution: das Klischee von genialen WissenschaftlerInnen; die Unsicherheit,<br />
ob unsere Gedanken an der Universität erlaubt und erwünscht<br />
sind und innerhalb welcher Spielregeln sie geäußert werden dürfen; die<br />
Befürchtung, jede Äußerung würde gleich bewertet werden und sich in<br />
der Benotung auswirken, mit Folgen auf Studienbeihilfe etc. Auf Seiten<br />
der Lehrenden: Sie kämpfen um ihren Platz in der offiziellen und inoffiziellen<br />
Hierarchie, stehen diesbezüglich in einem Konkurrenzverhältnis<br />
zueinander. Es wäre nicht abwegig, würde auf ihrer Seite die Befürchtung<br />
bestehen, Autorität und Ansehen bei Studierenden (und KollegInnen)<br />
einzubüßen, würden sie ihnen Einblick in ihre Arbeitsweise, in ihren<br />
Schreibprozess geben – umso mehr, wenn Studierende dem Mythos<br />
nachhingen, ihre Lehrenden wären WissenschaftsheroInnen im oben<br />
beschriebenen Sinn oder hätten solche zu sein.<br />
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