linguistische
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nur Hypothesen. Im Laufe unserer Arbeit haben wir herausgefunden,<br />
dass viele Studierende dem Missverständnis unterliegen, Schreiben<br />
bestehe in der Abbildung feststehenden Wissens, das sie fix und fertig aus<br />
der Wissenschaft (den edierten Fachtexten) heraus in ihre eigenen Texte<br />
zu übertragen hätten. Mit dieser Fehlannahme gehen viel mehr Studierende<br />
an das Schreiben im Studium heran, als wir ursprünglich dachten,<br />
auch solche, die ihre schriftlichen Arbeiten für die Lehrenden unauffällig<br />
erledigen und vordergründig keine Probleme mit dem Schreiben haben.<br />
Bedauerlicherweise stützen die meisten Lehrenden diese verbreitete<br />
Fehlkonzeption, indem sie niemals darüber sprechen, was zwischen dem<br />
Übernehmen eines Seminar- oder Hausarbeitsthemas und der Abgabe<br />
des Produkts geschieht. Wenn man genau hinsieht, entdeckt man ein<br />
Schweigekartell aus Studierenden, welche die Schwierigkeiten, die sie<br />
beim Schreiben haben, verheimlichen, und Lehrenden, die nicht über<br />
das Schreiben sprechen. Die meisten Lehrenden gehen bei der Betreuung<br />
schriftlicher Arbeiten so gut wie gar nicht darauf ein, wie Studierende<br />
beim Schreiben vorgehen können und welche konkreten Anforderungen<br />
sie erfüllen sollten. Dadurch erwecken sie den Eindruck, Fragen zu dieser<br />
zentralen Studienaktivität hätten in der Kommunikation zwischen ihnen<br />
und den schreibenden Studierenden nichts zu suchen. Der Effekt ist,<br />
dass Studierende sich häufig mit ihren Schreibaufgaben herumquälen,<br />
ohne doch jemals wirklich in ihr Thema einzusteigen. Sie behandeln die<br />
Gegenstände ihrer schriftlichen Arbeiten sozusagen mit spitzen Fingern.<br />
Viele wagen es nicht, selbst Fragen dazu zu stellen oder eigene Hypothesen<br />
zu bilden, weil sie glauben, was sie selbst denken, sei ja in der<br />
Wissenschaft noch nicht vorrätig, also nicht wissenschaftlich, weshalb es<br />
in ihren wissenschaftlichen Arbeiten auch nichts zu suchen habe. Andere<br />
wollen etwas wirklich Neues sagen und scheitern, eingeschüchtert davon,<br />
dass offenbar schon alles gesagt und geschrieben worden ist. 1 Dass Wissen<br />
nicht statisch ist, keine Substanz darstellt, die irgendwo eingefüllt und<br />
aufbewahrt werden könnte, wird vielen Studierenden nie vermittelt. Auf<br />
dieser Grundlage ist es schwierig, sich als kommunizierende AkteurInnen<br />
in den sozialen Prozess von Wissenschaft einzuschalten, sich fachlich<br />
vermittelt ein Stück Welt zu erschließen, seine Fähigkeiten zu erweitern<br />
und sich dadurch auch selbst zu verändern.<br />
Das Schreiben von Essays, Haus- und Seminararbeiten ist ein guter<br />
Ausgangspunkt, um solche alten und schlechten Lernarrangements hinter<br />
sich zu lassen. Weil Schreiben eine Aktivität ist, bei der Studierende sich<br />
fachliche Inhalte erschließen und die damit einhergehenden Erkenntnisprozesse<br />
dokumentieren müssen, öffnet es eine ganze Welt von Lern- und<br />
Lehrchancen. Gut angeleitete Schreibaufgaben führen Studierende in das<br />
aktive Durchdenken ihrer Arbeitsthemen hinein, die dabei entstehenden<br />
Textversionen werden zu Dokumentationen von Lernprozessen. 2 Deshalb<br />
ist Schreiben ein ideales Lernmedium. Wenn Lehrende das implizite<br />
Erfahrungswissen, das sie beim Schreiben ihrer wissenschaftlichen<br />
Arbeiten erworben haben, explizit machten und an Studierende weiter-<br />
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