linguistische
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Christina Thürmer-Rohr<br />
Dialogisches und monologisches<br />
Schreiben<br />
Das Problem ist vielen Studierenden bekannt: Sie fühlen sich von ihrem<br />
Lesestoff erschlagen, haben Angst vor eigenen Formulierungen, sitzen<br />
vor leeren Blättern und vollen Papierkörben, vor unbeschriebenen Bildschirmen<br />
oder chaotischen Dateien. Der Text gibt nicht wieder, was man<br />
im Kopf zu haben meint, er bekommt kein eigenes Gesicht, lebt nicht,<br />
bleibt öde, steril und fremd.<br />
Die Abhilfen, auf die sich manche Hoffnungen richten – z.B. die Verbesserung<br />
des Handwerkszeugs, die Aneignung neuer Arbeitstechniken,<br />
die Freilegung „kreativer“ Energien, der Mut zum unbehinderten Selbstausdruck<br />
–, haben ihren Nutzen, aber sie treffen meines Erachtens nicht<br />
den Kern. Der Fall ist schwerwiegender und das Problem fundamentaler.<br />
Es ist im Verhältnis zwischen der schreibenden Person und ihrem Gegenstand,<br />
zwischen dem Ich und seinem Gegenüber zu suchen. Dieses verlangt<br />
nicht in erster Linie das Handwerk des Schreibens, auch nicht den<br />
Selbstausdruck des Schreibenden, erst recht nicht den Herauswurf seines<br />
Inneren und dessen Abdruck auf Papier, sondern den Dialog mit dem<br />
Anderen bzw. den inneren Dialog, der die Vorstellung des Anderen aktiviert.<br />
Wenn ich eine Katze beschreiben will, muss ich mich auf die Katze<br />
konzentrieren. Ich muss sie kontaktieren, beobachten, erkunden, in<br />
ihrem Verhalten lesen. Sie ist mein liebenswürdiges, denkwürdiges oder<br />
fragwürdiges Gegenüber, das ich, indem ich schreibe, charakterisieren<br />
und in Worte fassen will. Ich muss es in seinem Anderssein wahrnehmen,<br />
und erst als solches kann es auf mich zurückwirken. Über die Katze zu<br />
schreiben verlangt keinen Akt der Introspektion, sondern einen Akt der<br />
Zuwendung. 1 Beim so genannten wissenschaftlichen Schreiben handelt es<br />
sich allerdings um ein mehrseitiges Verhältnis, denn das Gegenüber ist<br />
nicht nur mein Gegenüber. Es ist das gemeinsame Dritte, mit dem sich<br />
auch andere befassen. Im Schreiben muss man in einen Diskurs einsteigen,<br />
der schon im Gange ist, einen Diskurs fortsetzen, der schon mal<br />
angefangen hat, vielleicht sogar einen Diskurs eröffnen, den es bisher<br />
noch nicht gab, immer aber im Kontext der Gedanken, Deutungen, Thesen<br />
anderer Menschen. Beim wissenschaftlichen Schreiben begibt man<br />
sich also nie auf ein leeres Feld und nicht in sich, sondern in Dialog mit<br />
einem Thema und zugleich mit virtuellen Gesprächspartnern, die ihrerseits<br />
zum Thema etwas zu sagen haben. In diesem Sinne ist Schreiben der<br />
Versuch, den Umgang mit dem Stoff wie ein Gespräch zu handhaben.<br />
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