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linguistische

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auf Besitz der Erkenntnisakte aus ist, die monomythische Alleingeschichte<br />

(vgl. Marquard 2003, 46–71) des modernen Fortschritts, die sich zur<br />

allein selig machenden und allein gültigen Deutung ermächtigt und die<br />

Pluralität der Geschichten verbietet. Der Singular, der diesen Alleinmythos<br />

beherrscht, braucht und will kein Gegenüber, sondern Objekte.<br />

Über diese wird geschrieben wie über Dinge, die der Schreibende allein<br />

definieren und erkennen zu können meint, so als ginge es nur um die<br />

Person, die spricht, um den souveränen, autonomen Schreiber. Monologische<br />

Diskurse orientieren sich in einem anerkannten System von<br />

Konventionen, die bereits festgelegt haben, wer und was relevant ist.<br />

Der monologische Schreiber spricht aus der Position des Wissenden,<br />

der, weil sein Gegenstand nicht zum wirklichen Gegenüber wird, diesen<br />

auch nicht zur Sprache kommen lassen und sich so von ihm auch nicht<br />

irritieren lassen muss. Monologisches wissenschaftliches Schreiben orientiert<br />

sich mehr an der eigenen Konsensgemeinde als an der Rechtmäßigkeit,<br />

Eigenständigkeit und Widerständigkeit des Gegenübers. Der<br />

Monologismus leugnet die Gegenwart des Anderen als gleichwertiges<br />

und antwortendes Bewusstsein. Der Monologismus „zeichnet sich aus<br />

durch den Glauben an eine einfache Weltstruktur oder an eine Welt, die<br />

auf einfache Faktoren und unteilbare Einheiten reduzierbar ist, durch<br />

die Überzeugung, die ‚richtige Welt‘ könne hergestellt werden, wenn<br />

man einen leitenden und richtungsweisenden Maßstab konsequent<br />

anwendet“ (Bauman 1995, 115).<br />

Wissenschaften vom Menschen 2 sind aber Dialogwissenschaften.<br />

Diese sind, wenn sie sich der Realität stellen, darauf angewiesen, ihren<br />

jeweiligen Gegenstand aus verschiedenen Perspektiven zu erfassen,<br />

denn jedes Ding hat so viele Seiten, wie Menschen daran beteiligt sind.<br />

Diesem Prinzip hat die aufklärerische Tradition Rechnung zu tragen<br />

versucht. So verfasste zum Beispiel Friedrich Schleiermacher anlässlich<br />

der bevorstehenden Gründung der Berliner Universität vor fast 200<br />

Jahren eine programmatische Schrift, in der er sich Gedanken über den<br />

zukünftigen Sinn der Universität machte (Schleiermacher 1950, 159–<br />

257). Wissenschaftliche Arbeit sollte sich auf Wesentliches besinnen<br />

und Wissenswertes von nur Wissbarem unterscheiden – eine Fähigkeit,<br />

die Bertolt Brecht Klugheit nannte, eine der „fünf Schwierigkeiten<br />

beim Schreiben der Wahrheit“ (1971, 35–50). Alle Disziplinen sollten<br />

in Philosophie und Ethik beheimatet sein und sich zum Nachdenken<br />

über die gemeinsam betreffenden Angelegenheiten – die res publica –<br />

verpflichten. Den Wissenschaften wurde zugetraut, dem Selbstverständnis<br />

der Gesellschaft, dem Selberdenken und Eigensinn, dem Verstehen<br />

und Urteilsvermögen zu dienen. Eine der tragenden Säulen der<br />

Universitätsidee sollte dabei der Dialog sein. Er sollte den Beteiligten<br />

kritische Spiegel vorhalten, die Selbstreflexion wach halten und Verstehen<br />

als mehrperspektivischen Prozess begreifen. Der Dialog sollte<br />

die Fragefreude stärken, Lernen sollte ein Forschen sein, das sich der<br />

Wirklichkeit über die Verständigung mit anderen annähert. Alle Betei-<br />

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