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linguistische

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len. Doch, seltsam: da gibt es kein einziges überzeugendes Beispiel.<br />

Und noch seltsamer: Auch von den Meistern, bei denen ich gelernt<br />

habe, weiß ich nicht, wie sie das machen. Warum nicht? Weil die<br />

Meister eine Scheu haben, vor der als narzisstisch interpretierbaren<br />

Selbstdarstellung? (Die haben sie aber bei der Präsentation ihrer fertigen<br />

Werke meist gar nicht.) Oder gilt es, ein Betriebsgeheimnis zu<br />

hüten? Die Antwort dürfte etwas viel Banaleres enthüllen: weil auch<br />

die Meister zunächst nur mit Wasser kochen, weil auch Meister-<br />

Werke manchmal aus sehr „primitiven“ Anfängen heraus entwickelt<br />

werden – was man nicht so gerne zeigt.<br />

Also kein Beispiel! … Oder doch eines; aus meiner Werkstatt (in<br />

aller Kürze): Großstrukturell liegt dem Text, den Sie gerade lesen,<br />

eine Phänomen-Gegenüberstellung zugrunde. Die zwei mit einander<br />

konfrontierten Phänomene werden entlang der Leitfrage „Was<br />

konstituiert das Phänomen des Spontanschreibens, was das des<br />

akademischen Schreibens?“ nacheinander behandelt (= Phänomenkonfrontation<br />

+ Darstellung zweier Konstitutionszusammenhänge;<br />

deren Darstellung jeweils dem Prinzip der Aufzählung (Enumeration)<br />

folgt: (1), (2) usw.). Doch entstanden ist der Text nicht aus<br />

Erkenntnissen zur Großstruktur. Sondern aus der Betrachtung von<br />

Einzelfällen, an denen Schwierigkeiten der Schreibenden sichtbar<br />

werden. Diese Einzelfälle habe ich zunächst in Fehlerkarteien verwaltet:<br />

als Fehler im Ausdruck, als Grammatikfehler usw. Erklärt<br />

habe ich mir diese Fehler als Defizite der Sprachkompetenzentwicklung<br />

generell. Dann lange Zeit später als Fehler der Schriftlichkeit<br />

(da sie im Mündlichen ja kaum vorkommen). Gleichzeitig hatte ich<br />

aber als Lehrer die Erfahrung gemacht, dass es sogar SchriftstellerInnen<br />

gibt, deren literarische Arbeiten fehlerfrei sind, während<br />

ihre akademischen von Fehlern strotzen. Also muss es Kofaktoren<br />

geben. Das Kriterium Schriftlichkeit allein kann nicht entscheidend<br />

sein. Welche Kofaktoren können noch eine Rolle spielen? Jahrelange<br />

Suche. Probieren, ausscheiden, weiter suchen, hinzunehmen<br />

… Immer von Ahnungen ausgehend, bestimmte A’s können mit<br />

bestimmten B’s und bestimmten C’s zu tun haben. Dann wieder habe<br />

ich einige A’s ausgetauscht, einige D’s hinzugenommen, erkannt dass<br />

einige C’s fälschlicherweise bei den anderen C’s sind, in Wirklichkeit<br />

aber zu den B’s gehören. Ich habe viel sortiert und viel verworfen. Es<br />

hat lange gebraucht, bis mir klar war, dass es eine spezifische Aufgabenkonstellation<br />

ist, die den Schreibenden akademischer Texte<br />

Probleme macht; dass sich die gesammelten Fälle nicht in erster Linie<br />

vom Gesichtspunkt der Entwicklungsstufen der Schreibkompetenz<br />

erklären lassen, sondern vom Gesichtspunkt der Verarbeitung von<br />

Komplexität, vom Gesichtspunkt der Aufgabenwahrnehmung usw.<br />

Es war ein steiniger Weg über viele Textversionen und – aus heutiger<br />

Sicht – Sackgassen. Drei, vier Jahre habe ich an dem Thema gearbeitet,<br />

von dem ich zunächst auch nicht wusste, dass daraus ein Auf-<br />

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