linguistische
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Dietmar Larcher<br />
Der rätselhafte Sinn der Texte.<br />
Über das Lehren und Lernen von<br />
Lesetechniken im Studium der<br />
Sozialwissenschaften<br />
Es klänge sicher seriöser, wenn ich mich diesem Thema mit kühler Distanz<br />
nähern könnte, den Kopf voller empirischer Daten über die Auswirkungen<br />
lesedidaktischer Inputs. Kann ich nicht, habe ich nicht. Das<br />
Lesen war und ist eine meiner großen Leidenschaften. Das Lesen der so<br />
genannten schönen Literatur genauso wie das Lesen theoretischer Texte.<br />
Nur: Während ich literarische Texte am liebsten alleine lese, bevorzuge<br />
ich zum Lesen theoretischer Texte allemal Partner, die mich beim Prozess<br />
der Aneignung begleiten, indem sie Schritt für Schritt mit mir über die<br />
Bedeutung des Gelesenen diskutieren. Nach Jahrzehnten als akademischer<br />
Lehrer weiß ich, dass Texte dann am meisten hergeben, wenn die<br />
Auseinandersetzung mit ihnen im diskursiven Verfahren erfolgt. Doch<br />
um das zu entdecken und um zu lernen, dass und wie diese diskursive<br />
Aneignung nicht im Wildwuchs gedeiht, sondern Regeln befolgen muss,<br />
hatte ich einen weiten Weg zu gehen, einen Weg voll Versuch und Irrtum,<br />
an dessen Ende keineswegs die eine gesicherte Methode des akademischen<br />
Lesens steht, sondern lediglich die Einsicht, dass das Lesen<br />
genauso wie das Schreiben theoretischer Texte regelgeleiteter sozial-kommunikativer<br />
Interaktion bedarf.<br />
Lesemuffels everywhere<br />
Lang ist’s her, dass der Verfasser, nennen wir ihn im Folgenden kurz „ich“<br />
(denn bekanntlich ist Ich ein anderer, wie wir seit Rimbaud wissen; in<br />
der Postmoderne gilt das erst recht), sich entschlossen hatte, sein Hobby,<br />
das Lesen, zum Hauptfach seines Studiums zu küren. So ging ich denn<br />
hin und inskribierte Germanistik an der Alma Mater Oenipontana in<br />
Innsbruck. Fünf Jahre später, ich nannte mich Magister und Doktor gar,<br />
hatte ich mir das Lesen deutscher Literatur völlig abgewöhnt. Nichts<br />
war unwichtiger als die Texte der Dichter gründlich zu kennen. Mein<br />
Prüfungswissen erwarb ich durch das Auswendiglernen von Schmitt-<br />
Fricke, Deutsche Literaturgeschichte in Tabellen (Schmitt 1949ff). Als<br />
ich während des Examens ein einziges Mal das sichere Terrain der aus-<br />
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