linguistische
linguistische
linguistische
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
fast zu einfach. Konnte es möglich sein, dass die Lehrveranstaltungsleiterin<br />
von mir erwartete, dass ich mein Referat, damit es eine Seminararbeit<br />
würde, mit mehr Klassikerzitaten „würzen“ sollte? Oder erwartete<br />
sie, dass ich etwas „viel Spezielleres“ finden möge, zu dem ich auch noch<br />
„Eigenes“ beitragen sollte? Die zu beachtenden formalen Regeln (Layout,<br />
Zitationsregeln etc.) erschienen mir wie ein seltsames Zeremoniell,<br />
das mir nicht helfen konnte, eigene Gedanken auszudrücken. Ich konnte<br />
keinen Sinn darin erkennen, die Inhalte, die ich in mehreren Büchern<br />
gelesen hatte, in meiner Arbeit zu vermischen (wenn auch mit Literaturhinweisen<br />
versehen), war mir aber unsicher, ob nicht genau dies das<br />
„Wissenschaftliche“ an schriftlichen Arbeiten im Studium darstellte.<br />
So startete ich mein Vorhaben Seminararbeit Rhythmik schon mit dem<br />
Gefühl, „hier ist nichts zu gewinnen“. Weil ich nicht wusste, was genau ich<br />
eigentlich schreiben wollte und sollte, begleitete mich der frustrierende<br />
Gedanke: „Ich arbeite ja gar nicht, ich tu’ nur so!“ Durch die unklaren<br />
Anforderungen entstand bei mir der Eindruck, einer Beschäftigung<br />
nachzugehen, die keine Chance hätte, als ernsthafte Arbeit angesehen zu<br />
werden. Von Anfang an kam ich mir wie eine Betrügerin vor, denn ich<br />
versuchte meine Arbeit ja nur so aussehen zu lassen, als ob sie eine wissenschaftliche<br />
Arbeit wäre. Da ich nicht wusste, ob und in welcher Form<br />
meine Ideen und Gedanken für eine wissenschaftliche Arbeit im Studium<br />
interessant sein könnten, erschien es mir sinnlos, für die SE-Arbeit eine<br />
andere Gliederung zu überlegen als jene, die die Inhaltsverzeichnisse<br />
der Basisliteratur bereits beibrachten – und ich übernahm sie. Hier war<br />
doch alles bereits bestmöglich gegliedert. Um einerseits den Anschein<br />
eigener Auseinandersetzung zu erwecken, aber andererseits das Risiko<br />
nicht einzugehen, mit „eigenen Gedanken“ völlig falsch zu liegen, vertauschte<br />
ich relativ willkürlich verschiedene Abschnitte meines Referates,<br />
formulierte um, hängte Sätze zusammen und verschachtelte sie. An das<br />
verteilte Informationsblatt mit Zitierregeln hielt ich mich genau: Wenn<br />
ich ein Kapitel zusammenfasste, fügte ich ein „Vgl. …“ an, gleichzeitig<br />
übernahm ich einzelne Passagen ausgewiesenermaßen wörtlich, damit<br />
ich auch zu Zitaten kam. Mein Literaturverzeichnis erschien mir zu kurz,<br />
also besorgte ich mir mehrere sehr ähnliche Bücher über Rhythmik, aus<br />
denen ich nur kurze Abschnitte las und alibihalber zitierte. Es war eine<br />
sinnlose und langweilige Tätigkeit. Oft schwankte ich zwischen unterschiedlichen<br />
Selbsteinschätzungen. Einerseits: Ich weiß wohl, dass das<br />
nicht gut ist, aber reichen wird’s doch? Andererseits: Diese Arbeit kann<br />
ich niemandem zeigen, geschweige denn sie abgeben – was sollen denn<br />
„alle“ von mir denken, wenn ich nicht einmal weiß, worüber ich schreiben<br />
soll? Dabei bin ich keine Studienanfängerin mehr.<br />
War mein Problem ein relativ kleines, weil ich doch einfach hätte<br />
fragen können? Nein, weil hier als selbstverständlich vorausgesetzt<br />
wurde, was mir nicht selbstverständlich war, musste ich befürchten, mit<br />
meinen Fragen zu zeigen, dass mir wichtige Voraussetzungen für den<br />
zweiten Studienabschnitt fehlten. Mein Problem entstand daraus, dass<br />
kissling_korr.1.indd 49 14.09.2006 11:09:20 Uhr<br />
49