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Schreibende bedroht. Mindestens so gefährlich sind das Zuviel an<br />

Aktivierungen im Kopf und in den Materialien (für das Schreiben)<br />

und die Unfähigkeit, damit umzugehen. Wenn das Zuviel dann auch<br />

noch heteronom ist, weder gedanklich / inhaltlich noch sprachlich<br />

harmonisiert, dann kommt es zu dem, was im Französischen<br />

embarras de richesse heißt (Verwirrung aufgrund eines Zuviels).<br />

Die Reizüberflutung kann aus dem Kopf kommen oder aus dem<br />

Materialberg und sie kann genau so schreibhemmend wirken wie<br />

das Zuwenig. Wer das Wissen, das er aus den vielen Quellen schöpft,<br />

nicht normalisiert, arbeitet mit einer kognitiven Landkarte, die –<br />

weil nicht nach einem einheitlichen Darstellungsprinzip verfasst –<br />

vor allem zur Desorientierung beiträgt.<br />

(5) Verarbeitung von allgemeinem, sozialem (nicht nur persönlichem)<br />

Wissen zu allgemeinem, sozialem Wissen „höherer Ordnung“. Die<br />

Breite des Wissens, das beim elaborierten Schreiben zu berücksichtigen<br />

ist, ist nicht von einem persönlichen (Interessen- und Erfahrungs-)Fokus<br />

abhängig. Relevant für ein Thema ist grundsätzlich<br />

alles, was man weiß, nicht nur das, was der Schreiber weiß.<br />

(6) Wissen schaffendes Schreiben – auf der Basis von (immer mehr)<br />

Bildungs-, Fach- und / oder Wissenschaftswissen, das sich der<br />

Schreiber oft in kürzester Zeit aneignen sollte und mit dem er wenig<br />

vertraut ist. Sachverhalte werden beim elaborierten Schreiben nicht<br />

nur wiedergegeben, sondern es sind Zusammenhänge zwischen<br />

Sachverhalten zu schaffen, und zwar auf der Basis von domänenspezifischem<br />

Wissen, das nicht episodisch strukturiert ist, sondern das<br />

theoretisch strukturiert werden muss (theoretisch hier im Sinn von<br />

‚nicht persönlich, nicht episodisch‘, Theorie verstanden als ‚System<br />

zusammenhängender Aussagen‘).<br />

Die darzustellenden Wissenszusammenhänge sind – für die Schlussversion<br />

des Textes, aber meist nicht erst beim Schreiben der Schlussversion<br />

– zu entwickeln (vgl. was in diesem Kapitel Punkt (8) über<br />

die Entstehung dieses Textes gesagt wird). Dieser kompositorische<br />

Mehraufwand ist für das Wissen schaffende Schreiben konstitutiv.<br />

Wie kommt er zu Stande? Durch „Zerteilen“ und „Zusammenfassen“<br />

meint Platon (vgl. Platon 1994, 591), Humboldt: durch Spalten<br />

und Verknüpfen (vgl. Humboldt 1900, 6). Das Spalten ist das<br />

Differenzieren, das Verknüpfen das Finden von Zusammenhängen.<br />

Element A hat irgendwie mit Element B (mit C usw.) zu tun. Denken<br />

ist: Herausbringen, inwiefern A mit B (mit C usw.) zu tun hat,<br />

Formulieren ist ‚sagen können, inwiefern A mit B (mit C usw.) zu<br />

tun hat‘ (vgl. Ortner 2000).<br />

Nach Keseling gehen 60% der Schreibprobleme auf Schwierigkeiten<br />

mit den Konzepten zurück, 20 % auf Schwierigkeiten mit dem<br />

Formulieren: „Nach vier Jahren Schreibberatung mit insgesamt 79<br />

Klientinnen und Klienten glauben wir jedoch sagen zu können, daß<br />

etwa 60% der Störungen mit Problemen bei der Konzeptbildung<br />

kissling_korr.1.indd 88 14.09.2006 11:09:33 Uhr

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