linguistische
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deutlich, dass spezifische Formen der Auseinandersetzung, der Denkweisen<br />
und Darstellungsformen anscheinend einen zu geringen Stellenwert<br />
im Rahmen der universitären Ausbildung einnehmen. Umso mehr<br />
muss versucht werden, beides zu besprechen und in konkreten Übungen<br />
umzusetzen. Im universitären Feld gibt es gemäß den Erzählungen der<br />
Studierenden kaum Orte, wo das Konzipieren und Formulieren wissenschaftlicher<br />
Texte geübt wird. Nur zögerlich werden Lehrveranstaltungen<br />
angeboten, in denen nicht nur Methodisches gelehrt, sondern<br />
dessen praktische Anwendungen vermittelt werden. Nicht selten gehen<br />
Studierende aus den Sprechstunden halbwissend nach Hause und erfahren<br />
zwar, dass sie etwa ein Konzept/Exposé erstellen, eine paraphrasierende<br />
Darstellung der Interviews oder eine dialogisierende Darstellung<br />
von Inhalten verfassen sollen, doch zumeist erfahren sie nicht, wie sie<br />
diese Aufgaben tatsächlich umsetzen können. Genauer nachzufragen ist<br />
ihnen zufolge eher tabuisiert und mit Befürchtungen behaftet, die eigene<br />
Unwissenheit preiszugeben und als „dumm“ abqualifiziert zu werden.<br />
Aus der anscheinend unzureichenden Vermittlung wissenschaftlicher<br />
Kriterien resultieren Uninformiertheit und falsche Vorstellungen über<br />
die Erfordernisse wissenschaftlichen Arbeitens, das in der gleichzeitigen<br />
Realisierung von Teilprozessen besteht. Insbesondere über die Phase des<br />
eigentlichen Schreibens und über Denkprozesse herrscht Unklarheit.<br />
Verbunden mit mangelnden Fachkenntnissen sind eklatante Zweifel<br />
hinsichtlich der Wissenschaftlichkeit ihrer Arbeiten keine Seltenheit,<br />
die häufig zur Individualisierung der Problematik führen: Gefühle der<br />
Dummheit, Faulheit, intellektuellen Unzulänglichkeit, von Zweifel, Hilflosigkeit<br />
und Stress führen oftmals zu Vermeidungsverhalten, einem<br />
„Mit-Sich-Schleppen“ der noch fertigzustellenden Arbeit. Im Sinne der<br />
Zweifel zeigen sich in meinen Veranstaltungen Frauen öfter unsicherer<br />
als ihre Kollegen. Differenzen unter Studierenden zeigen sich ebenso im<br />
Hinblick auf Interkulturalität (ein bislang kaum analysiertes Thema im<br />
Rahmen der Schreibprozessforschung) und auf Unterschiede gemäß der<br />
sozialen Herkunft von Studierenden. (Darauf jeweils analysierend einzugehen<br />
bedürfte allerdings eines eigenen Beitrages.)<br />
Die wissenschaftlichen Schreibwerkstätten, die ich durchgeführt habe<br />
und durchführe, zeigen aber auch, dass Studierende diese nicht nur „hilfesuchend<br />
als letzte Möglichkeit“ frequentieren. Im Gegenteil, die meisten<br />
Studierenden geben an, sich prophylaktisch Unterstützung zu holen und<br />
zwei Drittel von ihnen stellen an sich höhere Leistungsansprüche als die<br />
Universität vorgibt.<br />
Der Mangel wissenschaftlicher Schreibkompetenz von Studierenden<br />
ist weder ihre je individuelle Schwierigkeit noch ist m.E. deren adäquate<br />
Vermittlung nur ein individuelles Problem der Lehrenden (z.B. Zeitproblem).<br />
Strukturelle Probleme im Rahmen der universitären Ausbildung<br />
spielen eine wesentliche Rolle für Schreibschwierigkeiten bei Studierenden.<br />
Wissenschaftspolitische und damit verbundene finanzielle Ursachen<br />
sind auch in Österreich daran beteiligt, nicht ausreichende Ressourcen<br />
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