linguistische
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F. Lust am Umschreiben<br />
Niemand schreibt druckreif! Gut lesbare, spannende, kluge Texte sind<br />
Ergebnis unzähliger Überarbeitungen. Hemingway z.B., so wurde in Can<br />
I Really Write? mehrmals betont, hat manche Textstellen Dutzende Male<br />
neu geschrieben – d.h. auf der Schreibmaschine neu getippt. Der Prozess<br />
des Umschreibens ist nicht nur wichtig, um einem Text langsam Tiefe,<br />
Komplexität und durchgängige Qualität zu verleihen. Das Bewusstsein,<br />
dass Schreiben ein Prozess ist, ist besonders für den Anfänger eine Entlastung.<br />
Freewriting macht nur Sinn, wenn für das Überarbeiten Zeit eingeplant<br />
wird und Know-how über editorische Möglichkeiten vermittelt<br />
wird. Im Fall meines New Yorker Workshops ging es um die Verbesserung<br />
der Darstellung von literarischen Figuren, Handlungsverläufen, Settings<br />
sowie Kriterien gut lesbarer Sprache. Das ist lernbar. Und es macht Spaß,<br />
eigene Texte zu verbessern, wenn man weiß, wie’s geht, und konstruktive<br />
Anregungen von anderen bekommt.<br />
Mit Hilfe dieser Methoden begann ich also in New York zu schreiben,<br />
jeden Tag: „Morgenseiten“ (vgl. Cameron 1996), viele kleine Übungstexte,<br />
eine Reportage über Brooklyn, einen wissenschaftlichen Bericht,<br />
Anträge, Konzepte, E-Mails etc. Der Kurs an der New York University<br />
hatte es mir vermittelt: Schreiben ist eine Lebensart, eine wunderbare.<br />
4. In Berlin lernen, das Schreiben zu lehren<br />
Die vom Institut für Kreatives Schreiben in Berlin angebotene Schreibtrainerausbildung<br />
hatte mich schon lange interessiert. Beflügelt und<br />
überzeugt durch meine Schreiberlebnisse in New York, fuhr ich im Jahr<br />
2002 von Wien aus für acht Wochenenden nach Berlin. Der Lehrgang<br />
für wissenschaftliches und berufliches Schreiben bot eine systematische<br />
Auseinandersetzung mit allen Phasen und möglichen Problemen des<br />
Schreibprozesses (vgl. Schulte 2001). Hinzu kamen methodische, didaktische<br />
und therapeutische Fragestellungen. So wurde z.B. das Clustering<br />
ins Zentrum der Schreibmethoden gerückt, eine von der Amerikanerin<br />
Gabriele Rico entwickelte bildhafte Technik zur Ideenentwicklung.<br />
Ähnlich wie beim Mind Mapping werden dabei rund um einen zentralen<br />
Begriff Ideen und Gedanken assoziativ mit Ästen und Kreisen<br />
angeordnet. Überhaupt ist der Ansatz von Barbara Schulte-Steinicke,<br />
Brigitte Steinicke und Lutz von Werder, die den Lehrgang leiteten, stark<br />
von der amerikanischen Schreiblehre und -forschung geprägt, d.h.<br />
kreative Methoden finden Eingang ins wissenschaftliche Schreiben:<br />
„Die Trennung […] von sachlichem Schreiben und kreativem Schreiben<br />
wird heute in der amerikanischen Schreibbewegung nicht mehr<br />
akzeptiert. Gerade die Kombination verschiedener Schreib- und Lesetechniken<br />
hat sich als sehr effektiv für wissenschaftliches Lernen erwiesen.“<br />
(von Werder 1995, 176)<br />
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