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etwa das Heranholen Abwesender mit der Vorstellung, ihnen etwas zu<br />

erzählen, sich also in einen „fiktiven Dialog“ mit anderen zu begeben.<br />

Diese dialogische Vorstellung im Prozess des Denkens und Schreibens<br />

(mit anderen und mit sich selbst) ersetzt die Wichtigkeit nicht, während<br />

der einzelnen Phasen des Produzierens tatsächlich mit anderen über<br />

die eigene Arbeit zu sprechen, in einen direkten Dialog zu treten. Der<br />

„fiktive Dialog“ kann aber im einsamen Schreibprozess aus der Fixierung<br />

des Nicht-Schreiben-Könnens herausführen. Zusätzlich erleichtert die<br />

Anwendung verschiedener Genres den Beginn des Schreibens, bei denen<br />

zunächst der Anspruch auf Wissenschaftlichkeit nicht relevant ist: mag<br />

dies ein Brief oder ein Essay sein. Eine weitere unterstützende Imaginationstechnik,<br />

die ich anwende, ist die Verfahrensweise, die Schiller<br />

einem verzweifelten, weil zum Schreiben gerade nicht fähigen Dichterfreund<br />

riet: nämlich die Vernunft vor den Toren der Stadt zu belassen,<br />

zu schreiben und erst danach die Tore wieder zu öffnen. Sinn derartiger<br />

Verfahrensweisen liegt in der Überwindung von Schreibhemmungen, die<br />

sowohl zu Beginn einzelner Abschnitte als auch mitten im Text auftreten<br />

(können). Die strenge Beurteilung des Verfassten geschieht als nachträglicher<br />

Akt in der dafür notwendigen Distanz zum eigenen Text und<br />

gemäß den Kriterien wissenschaftlicher Texte.<br />

Über das bloß subjektive Urteil hinaus –<br />

gegen Verallgemeinerungen<br />

Lehrende sind immer wieder mit studentischen Texten konfrontiert, in<br />

denen Meinungen als unumstößliche Wahrheit oder als Gewissheit dargestellt<br />

werden. Bei Studierenden in der Phase der Diplomarbeit und der<br />

Dissertation kommen diese „Wahrheiten“ in verschiedenen Varianten<br />

vor. So finden sich Sätze wie „Frauen sind gefühlsbetonter als Männer“<br />

oder „Früher war die Situation der Familie besser“ und dergleichen mehr.<br />

Arbeitstitel wie Der Alkoholismus der Frauen oder Die Auswirkung der<br />

muslimischen Männer auf die österreichischen Männer sind keine Seltenheit.<br />

Für Lehrende ist die Notwendigkeit weiterer Reflexionen jener<br />

Aussagen selbstverständlich. Studierenden aber muss nahe gebracht<br />

werden, was an solchen Themenformulierungen aus der Perspektive der<br />

Wissenschaft nicht korrekt ist (und/oder auch aus der politischen Perspektive).<br />

Verallgemeinerung, Kollektivierung, Alltagsmeinungen und<br />

Vorurteile charakterisieren immer wieder Texte von Studierenden. Hier<br />

reicht der Hinweis auf eine hinzuzuziehende Quelle als Beleg nicht mehr<br />

aus. Ebenso wenig reicht die Anmerkung, diese oder ähnliche Sätze korrekter<br />

zu formulieren. In meinen Veranstaltungen versuche ich darum,<br />

ein Denken zu vermitteln, das grundsätzlich gegen Verallgemeinerungen<br />

gerichtet ist und das sich an der Theorie des Perspektivenwechsels<br />

orientiert, d.h., es wird die Sinnhaftigkeit repräsentativen Denkens 3<br />

besprochen und in Textübungen umgesetzt. (Damit Studierende lernen,<br />

kissling_korr.1.indd 182 14.09.2006 11:10:01 Uhr

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