linguistische
linguistische
linguistische
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
und zutreffend ist, erhalten die jeweiligen AutorInnen eine kompetente<br />
Kritik. Für die Kritisierenden wiederum sind selbst erarbeitete und ausgesprochene<br />
Einsichten besonders wertvoll. (Wobei es erfahrungsgemäß<br />
nicht sofort gelingt, das bei der kritischen Betrachtung fremder Texte<br />
Erkannte sofort und vollständig auf das eigene Arbeiten zu übertragen.)<br />
Im Rahmen dieser Vorgangsweise beschränkt sich meine Aufgabe als<br />
Lehrveranstaltungsleiter somit darauf, zu ergänzen sowie, anknüpfend an<br />
bestimmte Texteigenheiten, allgemeinere Überlegungen zu äußern, z.B.<br />
das Spannungsfeld darzulegen, das zwischen streng empirisch belegter<br />
Schlussfolgerung einerseits und überspitzt formulierter These andererseits<br />
besteht. Die betreffenden AutorInnen kennen meine Kritik ohnehin<br />
bereits, und für die Teilnehmenden insgesamt genügt es, wenn die verschiedenen<br />
Aspekte, auf die bei der Abfassung eines Textes zu achten ist,<br />
einige wenige Male angesprochen und erläutert werden, anstatt sie bei<br />
jedem Text zu wiederholen.<br />
Emotionen: Wie gehen studentische AutorInnen mit<br />
Kritik um?<br />
„Kritik“ wird hier nicht im engeren negativen Sinn, sondern in einem<br />
weiteren Sinn als Unterscheidungsvermögen verstanden. Für die einzelnen<br />
Studierenden geht es darum, dass Merkmale ihrer Darstellungsweise<br />
aufgezeigt werden, die im jeweiligen Zusammenhang Stärken oder<br />
Schwächen sein können. Die allgemein verbreitete Neigung, länger bei<br />
den Schwachpunkten zu verweilen, konnte ich bei den Studierenden sehr<br />
deutlich erkennen: Sie sprachen vor allem Negativpunkte an. Die Lehrveranstaltungsleitenden<br />
sollten, wenn sie eine solche Tendenz beobachten,<br />
gegensteuern und auch jeweils positive Eigenheiten verbalisieren.<br />
Wenn ein Text auf massive negative Kritik stößt, ist es für die Autor-<br />
Innen nicht leicht, damit umzugehen. Für die in diesem Rahmen Kritik<br />
Übenden, insbesondere für den/die LehrveranstaltungsleiterIn, besteht<br />
im Hinblick auf die Direktheit der Kritik eine Spannung: Grobe Mängel<br />
sind direkt anzusprechen, ohne unnötig verletzend zu formulieren.<br />
Würde man die Kritik gravierender Mängel diplomatisch umschreiben,<br />
wird dem Kritisierten das Gewicht der Kritik vermutlich nicht klar.<br />
Darauf weise ich die Studierenden bereits im Voraus hin. Ich versuche<br />
dieses Spannungsverhältnis dadurch zu reduzieren, dass ich die Situation,<br />
die Kritik „normalisiere“; das tue ich, indem ich den Studierenden<br />
auf Overhead-Folien kritische Passagen aus Gutachten präsentiere, worin<br />
es um meine eigenen Manuskripte ging. Damit erhalten Studierende das<br />
beruhigende Gefühl, dass sie nicht alleine stehen, wenn ihr Text deutlich<br />
kritisiert wird, und dass auch der Lehrveranstaltungsleiter wiederholt<br />
scharfe Kritik verdauen muss.<br />
Kritisiert werden wird zumeist als etwas Unangenehmes erlebt und<br />
führt bei Kritisierten leicht zu emotionaler Distanz gegenüber dem/der<br />
kissling_korr.1.indd 151 14.09.2006 11:09:52 Uhr<br />
151