linguistische
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Merkmale der für das Spontanschreiben typischen Aufgabenkonstellation:<br />
(1) Schreiben von Kurztexten<br />
(2) Schreiben im Medium der geschriebenen Alltagssprache – mit<br />
bescheidenen Anleihen bei der Bildungssprache<br />
(3) Schreiben über Alltagsthemen. Wie in der alltagssprachlichen Kommunikation<br />
dominieren Themen aus der nahen Lebenswelt – behandelt<br />
aus der Teilnehmerperspektive. Das gilt auch für die Erörterung,<br />
immer noch die meistfavorisierte Textsorte im Schulunterricht: sie<br />
ist zwar alles andere als eine natürliche Textsorte 2 , die Themen sind<br />
aber doch zumindest – alltagsnahe. Vor allem auch was ihren Allgemeinheits-<br />
bzw. Detaillierungsgrad betrifft.<br />
Selbst wenn die Themen gleich lauten (Themenhomonymie), z.B.<br />
„Die Niere“, sind sie in der Mündlichkeit und in der elaborierten<br />
Schriftlichkeit behandelt nicht dieselben. Das zeigt ein Selbstversuch<br />
sehr rasch. Zum Alltagsthema gehört alles, was man in der „normalen“<br />
Mündlichkeit über dieses Thema (spontan) sagen und wie man<br />
es sagen kann – wohlgemerkt sagen! Es sind mit Sicherheit nur ein<br />
paar zusammenhängende Sätze, vielleicht vier, vielleicht fünf (die<br />
Anzahl der Sätze ist ein ziemlich verlässlicher Anzeiger des Detaillierungsgrades).<br />
Eine ausführlichere, d.h. detailliertere Behandlung<br />
lässt schon der Zwang zum Sprecherwechsel nicht zu. Und was den<br />
Allgemeinheitsgrad betrifft: Die Viersatzäußerung geht mit Sicherheit<br />
von einem konkreten Problem meine Niere, Schäden für deine<br />
Niere oder Ähnlichem aus und landet dann vielleicht bei einem allgemeinen<br />
Satz. Beim Schreiben über das Thema wäre dagegen die<br />
konkrete, lebensweltlich verortbare, also „individuelle“ Niere überhaupt<br />
nicht vorgekommen. Diese Praxis der Mündlichkeit wird, was<br />
den Allgemeinheits- bzw. Detaillierungsgrad betrifft, beim Spontanschreiben<br />
lange Zeit beibehalten.<br />
(4) Verarbeitung geringer Mengen stabil verankerten Wissens. Wer<br />
eine Arbeit über die „Wortbildung im Deutschen“ zu schreiben hat,<br />
muss sich in kurzer Zeit viel Wissen aneignen. Eine Stabilisierung<br />
dieses Wissens qua neuronaler Verstärkung ist in kurzer Zeit nicht<br />
möglich. Deshalb das Problem mit dem unvertrauten Wissen: es ist<br />
tendenziell unüberschaubar und schlecht geordnet (denn es stammt<br />
aus unterschiedlichen Quellen, die sich nicht auf einander beziehen).<br />
Schreibt man dagegen in einer Erörterung über die Einflüsse des<br />
Fernsehens auf Kinder, so kann man auf Meinungen zurückgreifen,<br />
die man vor langer Zeit gehört, auf Beobachtungen und Gedanken,<br />
die man gemacht hat usw. – alles meist über Jahre hinweg akkumuliert,<br />
nicht in zwei, drei Wochen zusammengelesen.<br />
(5) Verarbeitung „persönlichen“ Wissens. Das bearbeitete Wissen ist<br />
persönliches Wissen, das im Ich-denke-, Ich-meine-Modus vorgetragen<br />
werden darf – in der Stellungnahme, in der Erörterung<br />
und in verwandten Formen der Abhandlung. (Manchmal wird<br />
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