04.12.2012 Aufrufe

linguistische

linguistische

linguistische

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

zu wenig Zeit zum Lesen. Und wir ärgern uns mächtig, wenn Referate<br />

gehalten werden, die wir uns anhören müssen (Anwesenheitspflicht),<br />

bei denen die Vortragenden den Text nicht gegessen, schon gar nicht<br />

verdaut haben. Und weil das auch für die Vortragenden wenig befriedigend<br />

ist, werden von solchen ReferentInnen vor der Präsentation noch<br />

Regieanweisungen abgegeben, wie: „Bitte fragt’s nix“, oder „Wos sull der<br />

ganze Multi-Kulti-Schass?“ (in einem Seminar, das Multikulturelle Arbeit<br />

heißt!). Die Trennlinie verläuft zwischen Lesenden und Nichtlesenden.<br />

Es leiden also alle Lesenden.<br />

Die nicht lesenden Studierenden – die leiden weniger, die erkennt man<br />

eher daran, dass sie entweder aggressiv werden oder verstummen, wenn<br />

sie einen Text nicht verstehen. Statt sich mit ihm genauer auseinander zu<br />

setzen, schimpfen sie auf die Uni oder rollen überhaupt völlig stumm in<br />

ihrer eigenen Seifenblase am Studium vorbei.<br />

Aber es gibt auch Lehrende, die nur scheinbar neue Texte lesen, weil<br />

sie beim Lesen immer noch das suchen, immer nur das sehen (wollen),<br />

was sie vor zwanzig Jahren schon suchten/wussten, als sie ihre Doktorarbeit<br />

schrieben. Lehrende, die nur sich selbst lesen. Diese Sorte steckt<br />

nicht zum Lesen an (glücklicherweise). Andererseits vergessen begeisterte<br />

LeserInnen möglicherweise zu leicht, wie sie zum Lesen gefunden<br />

haben; denn wenn man erst mal gerne liest, erscheint Leselust als etwas<br />

Selbstverständliches. Doch dass es oft eines spannenden Eintrittsabenteuers<br />

bedarf, das haben Sie in Ihrem Text sehr gut rübergebracht.<br />

Wissen Sie, dass in den Techniken wissenschaftlichen Arbeitens – erster<br />

Studienabschnitt unseres Pädagogik-Studienplans – „Lesen“ als Punkt gar<br />

nicht vorkommt? Indirekt lernt man somit schon in der Studieneingangsphase,<br />

dass es nicht aufs Lesen ankommt, schon gar nicht aufs gekonnte,<br />

sondern bestenfalls aufs richtige Abschreiben (dazu sollte man auch lesen<br />

können, aber …). Und Konversatorien, die als Angebot zur kommunikativen<br />

Verarbeitung des Gelesenen dienen könnten, die gibt es so gut<br />

wie gar nicht, höchstens in der Pflichtenglischstunde. Die Angst, damit<br />

könnten sich zu viele ein billiges Scheinchen erwerben, geht da wohl um.<br />

Es fehlt das (Selbst-)Vertrauen, dass durch kompetente Leitung Studierende<br />

für das Lesen gewonnen werden könnten. Was wäre schon dabei,<br />

wenn man/frau pro Semester eine Arbeit weniger schriebe und dafür ein<br />

(1!) Konversatorium besuchen könnte/dürfte. Das ist nicht eine Frage des<br />

Wollens – das geht schlichtweg nicht. Weil es kein Lese-Verarbeitungsangebot<br />

gibt. Auch Proseminare und Seminare leisten das nicht.<br />

Ich denke, diese hier genannten Mängel, die sich nicht nur auf Studierende<br />

beziehen, sind wichtige Komponenten, die auch mitgedacht<br />

gehören. Ich merke doch laufend, an welch enge Grenzen ich bei mir<br />

selbst stoße, wenn mir ein Buch gefällt und ich jemandem darüber<br />

erzählen möchte. Dafür fehlt mir gänzlich das Training. Das Lesen wird<br />

der/dem Studierenden selbst überlassen – aber alleine kommt man halt<br />

nur im Schneckentempo weiter. Glauben Sie ja nicht, dass es allgemein<br />

üblich sei, in Seminaren am Text zu diskutieren! Nach einem Durch-<br />

kissling_korr.1.indd 135 14.09.2006 11:09:48 Uhr<br />

135

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!