linguistische
linguistische
linguistische
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Schreibens sein, doch für das akademische Schreiben wird bei den<br />
meisten Aufgaben ein Bauchaufschwung von den Einzelfallthemen<br />
zu den allgemeinen Themen verlangt. Und der gelingt nur im Modus<br />
des fokussierten Sachbezugs. Weg vom Einzelfall zur Abstraktion<br />
aus Einzelfällen; weg vom Agens zur Sache, zum deagentivierten<br />
Sachverhalt!<br />
(4) Verarbeitung großer Mengen heterogenen und heteronomen Wissens<br />
(heterogen = ‚aus verschiedensten Quellen stammend‘, heteronom;<br />
= ‚nicht normalisiert‘ = ‚weder sprachlich noch inhaltlich aufeinander<br />
bezogen‘ 4 ).<br />
Das, was man zu einem Thema weiß, ist – in den Geisteswissenschaften<br />
– oft über Jahrhunderte hin akkumuliert worden. Es stammt aus verschiedenen<br />
Quellen und ist nicht normalisiert, d.h., nicht auf einander<br />
bezogen – weder sprachlich noch inhaltlich. Das in den Quellen auffindbare<br />
Wissen überlappt sich teilweise, widerspricht sich manchmal,<br />
hat einmal nur entfernt miteinander zu tun, ein anderes Mal wieder<br />
ganz eng. Es ist verschiedenartig: konkret, abstrakt, ikonisch, visuell<br />
codiert, vor allem aber auch: ‚nicht in einer Sprache abgefasst‘ und<br />
nicht als Bestandteil einer Theorie (sondern vieler). Der Schreiber<br />
muss, bevor oder damit er schreiben kann, das Wissen normalisieren.<br />
Beim Normalisieren des Wissens aus verschiedenen Quellen muss der<br />
Bearbeiter sich vom Wortlaut lösen und „nur“ mehr mit den Inhalten<br />
arbeitend Abstraktionen erzeugen. Ganz gleich, ob das Wissen aus<br />
Texten stammt oder aus Fall-Beobachtungen – die Menge und Vielfalt<br />
des Wissens kann man nur über Abstraktion in den Griff bekommen.<br />
Über die Bearbeitung von Fällen – von mehreren Fällen, wohlgemerkt!<br />
(von Fall 1, Fall 2, Fall 3 bis zum Fall n) – als Fall von etwas. Das ist<br />
eine Art von Abstraktion: eine Orientierung an Relevantem. In den<br />
Geisteswissenschaften sind die „Fälle“ sehr oft Aussagekomplexe (=<br />
Texte). Was die Fallbearbeitung nicht leichter macht. Normalisieren<br />
heißt dann auch, ‚Inhalte, die dieselben sind, zu scheiden von denen,<br />
die unterschiedlich sind‘. Heißt ‚sich Ablösen vom Wortlaut der Quellentexte‘<br />
und heißt ‚Arbeiten mit abstrakten Propositionen (= Aussage-<br />
= Inhaltseinheiten)‘, heißt ‚einen Fallzusammenhang, also eine<br />
Theorie suchen‘.<br />
Der Lohn für die Abstraktionsarbeit ist reich: das Allgemeine<br />
wird sichtbar, die Menge und Vielfalt des Wissens verwaltbar und<br />
Zusammenhänge können leichter hergestellt werden. Denn nur die<br />
Normalisierung erlaubt den vorordnenden (gliedernden) Überblick<br />
und die ökonomische Verwaltung des relevanten Wissens – über<br />
Stichwörter, Karteien, Zusammenfassungen usw. Ohne die Hilfsverfahren,<br />
deren Basis die Abstraktion ist, entstehen leicht Mengenstress<br />
und Desorientierung.<br />
In der Schreibberatung ist fast immer nur vom weißen Blatt als<br />
Schreibhemmer die Rede, nur vom gedankenleeren, nie vom verwirrten<br />
Kopf. Die Gedankenleere ist jedoch nur eine Gefahr, die die<br />
kissling_korr.1.indd 87 14.09.2006 11:09:32 Uhr<br />
87