linguistische
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mehrere Perspektiven wahrzunehmen, zeige und diskutiere ich immer<br />
wieder Kippbilder.)<br />
Das Einnehmen verschiedener Standpunkte bei der Betrachtung eines<br />
Forschungsgegenstandes garantiert keine Objektivität im strengen Sinne.<br />
Doch kann es über das bloß subjektive Urteil hinausführen, das oft als<br />
allgemein gültige Wahrheit seine Tarnung findet, wie auch hinausführen<br />
über eine für allgemein gültig gehaltene Wahrheit, die maskiert wird als<br />
eine bloß subjektive Meinung. Es ist nicht treffender formulierbar als es<br />
Hannah Arendt ausdrückte:<br />
Eine Meinung bilde ich mir, indem ich eine bestimmte Sache von<br />
verschiedenen Gesichtspunkten aus betrachte, indem ich mir die<br />
Standpunkte der Abwesenden vergegenwärtige und sie so mit<br />
repräsentiere. Dieser Vergegenwärtigungsprozeß akzeptiert nicht<br />
blind bestimmte, mir bekannte, von anderen vertretene Ansichten.<br />
Es handelt sich hier weder um Einfühlung noch darum, mit Hilfe<br />
der Vorstellungskraft irgendeine Majorität zu ermitteln und sich ihr<br />
dann anzuschließen. Vielmehr gilt es, mit Hilfe der Einbildungskraft,<br />
aber ohne die eigene Identität aufzugeben, einen Standort in<br />
der Welt einzunehmen, der nicht der meinige ist, und mir nun von<br />
diesem Standort aus eine eigene Meinung zu bilden. Je mehr solcher<br />
Standorte ich in meinen eigenen Überlegungen in Rechnung<br />
stellen kann und je besser ich mir vorstellen kann, was ich denken<br />
und fühlen würde, wenn ich an der Stelle derer wäre, die dort stehen,<br />
desto besser ausgebildet ist dieses Vermögen der Einsicht […]<br />
und desto qualifizierter wird schließlich das Ergebnis meiner Überlegungen,<br />
meine Meinung sein. (Arendt 1994, 342)<br />
Der Perspektivenwechsel richtet sich gegen dichotome Polarisierungen<br />
und bezieht über das Instrumentarium des Zitierens andere mit ein. Er<br />
qualifiziert das eigene Urteil, die zu begründende Positionierung, indem<br />
nicht nur bei der eigenen Anschauung stehen geblieben, sondern Anderes<br />
einbezogen wird. Ebenso verlangt er bestimmte Darstellungen, deren<br />
wohl schwierigste Form das Dialogisieren ist, also das Miteinander-Sprechen-Lassen<br />
divergierender Aussagen, Meinungen usf. – ohne lediglich<br />
(m)einen Standpunkt einzunehmen oder ihn als einzig richtigen zu postulieren.<br />
4<br />
Abschließendes und Ausblick<br />
In den von mir durchgeführten wissenschaftlichen Schreibwerkstätten<br />
wurde und wird immer wieder deutlich, dass die Schwierigkeiten der<br />
Studierenden am Mangel der Konzeption und an Unkenntnissen des<br />
strukturierten Arbeitens und/oder an ungenügenden Kenntnissen des<br />
wissenschaftlichen Handwerkszeuges liegen. Darüber hinaus aber wird<br />
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