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Klangzentren und Tonalität - Musiktheorie / Musikanalyse ...

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Rameau, Georg Andreas Sorge, Johann Philipp Kirnberger, Charles Simon Catel,<br />

Alexandre-Étienne Choron <strong>und</strong> anderen Musiktheoretikern auf 32 , <strong>und</strong> prägte so in<br />

seinem Traité einen <strong>Tonalität</strong>sbegriff, der vielen weiteren Musiktheoretikern als Gr<strong>und</strong>lage<br />

diente.<br />

<strong>Tonalität</strong> bildet sich laut Fétis „aus der Kollektion der notwendigen, sukzessiven oder<br />

simultanen Beziehungen der Tonleiter“ 33 , also aus Beziehungen zwischen den Harmonien<br />

<strong>und</strong> Melodien eines Musikstücks in Bezug auf eine zugr<strong>und</strong>e liegende Skala. Der<br />

Ursprung dieser Beziehungen ist dabei für Fétis weder ein akustisches oder mathematisches<br />

Phänomen, noch liegt es in der Physiologie des menschlichen Gehörs begründet;<br />

statt dessen meinte Fétis, dass die Gesetze tonaler Beziehungen „metaphysischer“ Natur<br />

<strong>und</strong> damit unergründlich seien. Unterschiedliche Kulturen stellen laut Fétis aufgr<strong>und</strong><br />

ihrer Gefühle, Gedanken <strong>und</strong> auch aufgr<strong>und</strong> des Intellekts 34 verschiedene Beziehungen<br />

her <strong>und</strong> entwickeln dem entsprechend unterschiedliche Typen von <strong>Tonalität</strong> („types de<br />

tonalités“). 35<br />

Der Mensch erhalte diese Ordnung [der <strong>Tonalität</strong>] <strong>und</strong> die sich daraus ergebenden melodischen<br />

<strong>und</strong> harmonischen Phänomene als Konsequenz seiner Bildung <strong>und</strong> Erziehung, <strong>und</strong> diese Tatsache<br />

bestehe durch sich selbst <strong>und</strong> unabhängig von jedem fremden Einfluss. 36<br />

Carl Dahlhaus, der sich in seinen Untersuchungen über die Entstehung der harmonischen<br />

<strong>Tonalität</strong> ausgiebig dem <strong>Tonalität</strong>sbegriff widmete, interpretierte den Begriff<br />

„Metaphysik“ bei Fétis als analog zum heutigen Bereich der „Anthropologie“ 37 <strong>und</strong> es<br />

ist wahrscheinlich, dass sich Fétis mit der Verwendung des Begriffs hauptsächlich von<br />

anderen gängigen Erklärungsversuchen seiner Zeit abgrenzen wollte (wie beispielsweise<br />

die auf Rameau zurückgehende Naturklangtheorie). Die Feststellung, dass Fétis jegliche<br />

physikalischen <strong>und</strong> physiologischen Ursachen ausschließt muss man, um Missverständ-<br />

schen <strong>und</strong> moralischen Gr<strong>und</strong>sätze seiner Zeit gehandelt, wenn er auf anderen Theorien aufbaute ohne<br />

explizit darauf hinzuweisen.<br />

32 Vgl. ebda. S. 133-134.<br />

33 Fétis: Traité complet de la théorie et de la pratique de l’harmonie, zit. nach: Beiche, <strong>Tonalität</strong>, S. 5.<br />

34 Hyer, Tonality: „Fétis asserted that ‚primitive’ (non-Western) societies were limited to simpler scales<br />

because of their simpler brain structures, while the more complex psychological organizations of<br />

Indo-Europeans permitted them to realize, over historical time, the full musical potential of tonalité;<br />

his theories were similar in their biological determinism to the racial theories of Gobineau.“<br />

35 Vgl. zu diesem Abschnitt auch: Beiche, <strong>Tonalität</strong>, S. 4-5; Simms, Choron, Fetis, S. 124f; Dahlhaus,<br />

Untersuchungen, S. 11-14; Dahlhaus, <strong>Tonalität</strong>, S. 623f; Hyer, Tonality.<br />

36 Fétis, zit. nach: Beiche, <strong>Tonalität</strong>, S. 5.<br />

37 Dahlhaus, Untersuchungen, S. 10.<br />

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