Klangzentren und Tonalität - Musiktheorie / Musikanalyse ...
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sich, statt der Tonika, wiederholt dem Auftaktakkord nähern. Sie können innere Modulation enthalten<br />
oder „schweifende“ Harmonie, die aber auf verschiedenem Wege immer wieder zum Auftaktakkord<br />
zurückkehrt. 259<br />
Als Beispiele solcher Auftaktakkorde nennt Schönberg Beethovens 3. <strong>und</strong> 5. Symphonie.<br />
260 In solchen zum Teil sehr ausgedehnten Passagen der Rückführung wird der<br />
Schwerpunkt des tonalen Klangzentrums von der Tonika zur Dominante hin verlagert,<br />
allerdings natürlich mit der damit verb<strong>und</strong>enen Erwartung, dass die Tonika in der<br />
Reprise auch tatsächlich wiederkehrt. Auf der anderen Seite findet man in Sonatensätzen<br />
auch häufig das Ausweiten der Coda <strong>und</strong> damit meist der Tonika-Region. Diese<br />
Praxis könnte durchaus als eine direkte Reaktion auf die zunehmende Bedeutung der<br />
Dominante interpretiert werden. So ist beispielsweise die Coda in Beethovens 3. Symphonie<br />
auf 135 Takte ausgeweitet <strong>und</strong> erzeugt damit einen formalen Ausgleich in Bezug<br />
auf die ausgedehnte Rückführung.<br />
Es sprechen noch weitere Argumente dafür, dass die Dur-Moll-<strong>Tonalität</strong> im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
nicht aus Sicht eines einzigen Klangzentrums gedeutet werden sollte. Neben der<br />
zunehmenden Bedeutung der Dominante werden auch andere Regionen immer häufiger<br />
als zentrale Bezugspunkte eingesetzt. In diesem Zusammenhang wäre zunächst die<br />
Ambivalenz zwischen Dur <strong>und</strong> Moll zu nennen, die von Komponisten seit jeher ausgenutzt<br />
wurde, um zwischen diesen beiden Klangcharakteren zu wechseln. Es gibt wohl<br />
kaum ein größeres Werk in der Literatur, das nicht sowohl Dur als auch Moll in längeren<br />
Abschnitten ausgiebig behandelt. Hier wäre einerseits die diatonische Beziehung<br />
zwischen einer Durtonart mit der parallelen Molltonart zu nennen. Siegfried Wilhelm<br />
Dehn bezeichnete 1840 die Verwandtschaft zwischen I. <strong>und</strong> VI. Stufe, gemeinsam mit<br />
der Verwandtschaft zwischen I. <strong>und</strong> III. Stufe, als den größtmöglichen<br />
Verwandschaftsgrad. Er begründete dies mit der großen Anzahl konsonanter Intervalle<br />
in diesen Klängen in Bezug auf die Dur-Tonleiter (vgl. S. 22). Als weitere wichtige<br />
Verwandtschaftsbeziehung ist die chromatische Beziehung zwischen einer Durtonart<br />
<strong>und</strong> der Molltonart auf derselben Stufe zu nennen. Diese Art der Verwandtschaft wurde<br />
in Gottfried Webers 1817 veröffentlichtem Tonnetz als Verwandtschaft ersten Grades<br />
gekennzeichnet <strong>und</strong> damit sogar als wichtiger charakterisiert als die Verwandtschaft<br />
259 Schönberg, Die formbildenden Tendenzen der Harmonie, S. 113.<br />
260 Ebda.<br />
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