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Klangzentren und Tonalität - Musiktheorie / Musikanalyse ...

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Ein weiteres technisches Merkmal tritt schon bei dieser ersten Akkordverbindung des „Tristan“<br />

hervor; nämlich die eigentümliche Erscheinung, daß (mit dem zweiten Akkord) ein Septakkord<br />

nach der vorangehenden Alterationsdissonanz als Auflösungsform eintritt, <strong>und</strong> zwar auch der<br />

Wirkung nach als eine Auflösung, die sich hier einem konsonanten Klangeindruck nähert. 267<br />

Die Dominantseptakkorde nehmen hier demnach auf mikroformaler Ebene die Rolle<br />

von <strong>Klangzentren</strong> ein. Betrachtet man den formalen Ablauf der ersten 16 Takte unter<br />

diesem Gesichtspunkt, so sieht man, dass sich neben den <strong>Klangzentren</strong> C-Dur <strong>und</strong> a-<br />

Moll auch ein weiteres Klangzentrum auf E etabliert. Die Akkordfolge der Dominantseptakkorde<br />

– E 7 , G 7 , H 7 , E 7 – kann dann als eine Art „Kadenz“ bezogen auf das Klangzentrum<br />

E gedeutet werden.<br />

Bevor ich auf die Harmonik dieser ersten 16 Takte in Bezug auf das Klangzentrum E<br />

genauer eingehe, möchte ich nochmals einen kurzen Exkurs zu Franz Liszt machen.<br />

Wie angedeutet finden sich in Liszts Spätwerk häufig Stellen, die sich auf die beiden<br />

<strong>Klangzentren</strong> der I. Stufe (E-Dur) <strong>und</strong> der tiefalterierten II. Stufe (f-Moll) beziehen 268<br />

(vgl. S. 86). Als Bindeglied zwischen diesen beiden <strong>Klangzentren</strong> verwendet Liszt<br />

meist den übermäßigen Dreiklang auf E (Abbildung 43a) sowie den verminderten<br />

Dreiklang auf F (Abbildung 43b). Eine weitere Variante zur Verbindung von E-Dur <strong>und</strong><br />

f-Moll, die Liszt vorwiegend im Klavierstück Funérailles einsetzt, ist das Umdeuten der<br />

Dominante von f-Moll zu einem übermäßigen Dreiklang auf C, der wiederum dem<br />

übermäßigen Dreiklang auf E entspricht (Abbildung 43c). In diesem Zusammenhang<br />

verwendet Liszt auch eine direkte Verbindung zwischen dem Dominantseptakkord auf<br />

C <strong>und</strong> dem Dur-Dreiklang auf E, die man aus Sicht von f-Moll als einen erweiterten<br />

Trugschluss auffassen könnte (Abbildung 43d). 269<br />

267 Kurth, Romantische Harmonik, S. 47. Kurth führt diese ruhende Wirkung des Dominantseptakkords<br />

auf seine Terzenschichtung zurück: „das Ohr [fasst] die Rückkehr des musikalischen Gewebes in<br />

einen auf Terzlagerung zurückzuführenden Akkord als Einrenkung in ein von der Natur vorgezeichnetes<br />

System <strong>und</strong> als Ruhepunkt im musikalischen Kräftespiel [auf …].“ (Vgl. Ernst Kurth, Die<br />

Voraussetzungen der Theoretischen Harmonik, Bern: Max Drechsel 1913).<br />

268 Nachdem beide <strong>Klangzentren</strong> oft in gleichem Maße betont werden könnte man umgekehrt auch von<br />

der I. Stufe f-Moll <strong>und</strong> der erhöhten VII. Stufe E-Dur sprechen. Die Problematik der exakten Bezeichnung<br />

spiegelt gewissermaßen unsere mangelhafte Symbolschrift für multiple <strong>Klangzentren</strong> wider, da<br />

sowohl Stufentheorie als auch Funktionstheorie von einem einzigen Klangzentrum ausgehen. Im Zusammenhang<br />

mit mehreren <strong>Klangzentren</strong> wäre es vielleicht ratsam die übliche Stufenbezeichnung<br />

fallen zu lassen <strong>und</strong> statt dessen nur Akkordbezeichnungen wie z.B. „E/Fm“ zu verwenden. In der<br />

Jazztheorie gibt es beispielsweise für polytonale Akkorde verschiedene Bezeichnungsmöglichkeiten,<br />

bei der insbesondere die Bezeichnung mittels eines schrägen oder horizontalen Balkens zwischen den<br />

beiden Akkorden sinnvoll erscheint.<br />

269 Vgl. dazu auch Kleinrath, Kompositionstechniken, S. 60ff.<br />

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