Klangzentren und Tonalität - Musiktheorie / Musikanalyse ...
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er versucht auf die Musik seiner Zeit auszuweiten. Auch eine kognitive Dimension wird<br />
von Fétis impliziert, allerdings ist für ihn die Wahrnehmung nicht der Gr<strong>und</strong> für das<br />
Entstehen von <strong>Tonalität</strong>, sondern ein Element, das mit dem bewussten Entscheidungsprozess<br />
des Komponisten in stetiger Wechselwirkung steht. In der Auffassung, dass<br />
Monteverdi in einer selbstständigen Handlung – das heißt nicht zwingend als Resultat<br />
einer „natürlichen“ Entwicklung – die Auflösung der Dominante in die Tonika „gef<strong>und</strong>en“<br />
hätte, wird ein weiteres Motiv deutlich, das besonders in der <strong>Musiktheorie</strong> des<br />
20. Jahrh<strong>und</strong>erts an Bedeutung gewinnt: die Vorstellung, dass <strong>Tonalität</strong> bewusst durch<br />
den Komponisten „gesetzt“ <strong>und</strong> verändert werden kann <strong>und</strong> somit in gewissem Sinne<br />
auch eine Kompositionstechnik darstellt. Dem entsprechend werden nach dieser Auffassung<br />
die, eine bestimmte <strong>Tonalität</strong> auszeichnenden, Beziehungen zwischen den<br />
Tönen <strong>und</strong> Harmonien einer Tonleiter nicht von physikalischen oder physiologischen<br />
Phänomenen gelenkt, sondern variieren abhängig von den kulturellen <strong>und</strong> soziologischen<br />
Gegebenheiten der Zeit. Insofern verwendet Fétis den Begriff <strong>Tonalität</strong> auch, um<br />
zwischen der harmonischen Syntax unterschiedlicher Epochen <strong>und</strong> unterschiedlicher<br />
Kulturen unterscheiden zu können. Die charakteristischen Merkmale der Dur-Moll-<br />
<strong>Tonalität</strong>, die aus der soziokulturellen Entwicklung der europäischen Kunstmusik<br />
hervorging, sind die Auflösung der Dominante in die Tonika <strong>und</strong> die Möglichkeit der<br />
enharmonischen Modulation. Diese Merkmale wurden von Fétis nur im besonderen<br />
Zusammenhang mit der europäischen Kunstmusik definiert <strong>und</strong> können sich von<br />
<strong>Tonalität</strong> zu <strong>Tonalität</strong> unterscheiden. Indem Fétis eine arithmetische Erklärung explizit<br />
als Beschreibung für <strong>Tonalität</strong> ausschloss 58 , wird ein weiteres für den <strong>Tonalität</strong>sbegriff<br />
des 20. Jahrh<strong>und</strong>ert bedeutendes Motiv offen gelegt. So wurden auch in der zweiten<br />
Hälfte des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts immer wieder Versuche unternommen dur-moll-tonale<br />
Musik mit der Hilfe mathematischer Modelle zu erklären (vgl. S. 46).<br />
58 Angeblich hat Fétis sechs Jahre seiner Zeit damit verbracht selbst nach einer mathematischen Begründung<br />
für die Dur-Moll-<strong>Tonalität</strong> zu suchen, bevor er diese Möglichkeit schließlich verworfen hat. Vgl.<br />
dazu: Rosalie Schellhous, Fetis’s „Tonality“ as a Metaphysical Principle: Hypothesis for a New Science,<br />
in: Music Theory Spectrum (Bd. 13,2), 1991, S. 219-240, hier S. 222.<br />
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