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ICONCLASH. Kollektive Bilder und Democratic Governance in Europa

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Überlegung: „Erst durch das Ause<strong>in</strong>anderbrechen der Christenheit konnten<br />

solche ureigenen europäischen Realitäten wie die Nationalstaaten, der<br />

Humanismus <strong>und</strong> die Wissenschaften entstehen, <strong>und</strong> erst durch die<br />

Ause<strong>in</strong>andersetzungen <strong>und</strong> Antagonismen zwischen den Nationalstaaten<br />

konnte sich der Begriff <strong>Europa</strong> verbreiten <strong>und</strong> durchsetzen“ (Mor<strong>in</strong><br />

1991:20f.).<br />

Christenheit, Aufklärung, zwei Weltkriege <strong>und</strong> der Kalte Krieg haben dieser<br />

Erzählung zufolge den Begriff <strong>Europa</strong> durchgesetzt <strong>und</strong> müssen daher<br />

auch als konstitutive Bestandteile der europäischen „unitas multiplex“<br />

verstanden werden: Der Begriff „<strong>Europa</strong>“ baut auf diesen ebenso auf wie er<br />

die Aufhebung ihrer geschichtsmächtigen Bedeutung voraussetzt. Als Idee<br />

wäre <strong>Europa</strong> e<strong>in</strong> Resultat der Geschichte, als Verfahren wäre <strong>Europa</strong> der<br />

Versuch, diese Geschichte nur noch als Vorgeschichte der eigenen<br />

Möglichkeit zu betrachten. Beides zusammen stellt entweder e<strong>in</strong>e subtile<br />

Form von Geschichtsvergessenheit dar oder aber e<strong>in</strong>e offensichtliche<br />

Instrumentalisierung der Vergangenheit: Wenn mit dem Versuch, die<br />

Differenz zwischen Idee <strong>und</strong> Verfahren zu überw<strong>in</strong>den, e<strong>in</strong>e zentrale<br />

Schwierigkeit für die Konzeption des Europäischen <strong>in</strong> den Blick kommt,<br />

dann rührt diese „Schwierigkeit, sich das E<strong>in</strong>heitliche im Vielgestaltigen <strong>und</strong><br />

das Vielgestaltige im E<strong>in</strong>heitlichen vorzustellen“ (Mor<strong>in</strong> 1991:21), weniger,<br />

wie Mor<strong>in</strong> behauptet, von dem Rätsel her, welche das Denken e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>heit<br />

<strong>in</strong> der Vielfalt dem Vorstellungsvermögen aufgibt, sondern vielmehr von der<br />

Beschaffenheit der Bestandteile, aus denen die konkrete Vielfalt <strong>Europa</strong>s<br />

sich zusammensetzt. Die Aufklärung mag e<strong>in</strong> Produkt des<br />

Ause<strong>in</strong>anderbrechens der Christenheit se<strong>in</strong>; sich e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>heit von<br />

Christenheit <strong>und</strong> Aufklärung vorzustellen, dürfte dennoch alles andere als<br />

leicht fallen.<br />

Die Denkfigur von e<strong>in</strong>em <strong>Europa</strong>, das als zugleich zukunftsoffenes <strong>und</strong> die<br />

Vergangenheit abschließend übernehmendes Projekt se<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>heit <strong>in</strong> der<br />

Unterschiedlichkeit se<strong>in</strong>er Bestandteile entdeckt, ist e<strong>in</strong>e Denkfigur, die<br />

nicht nur auf kulturgeschichtliche Debatten <strong>in</strong>nerhalb <strong>Europa</strong>s beschränkt<br />

bleibt, sie f<strong>in</strong>det sich – mit ähnlich teleologischer Anmutung wie bei Mor<strong>in</strong> –<br />

auch jenseits des Atlantiks: So schreibt beispielsweise der amerikanische<br />

Historiker Anthony Pagden, das Ungewöhnliche an <strong>Europa</strong> wäre im<br />

Umstand zu erkennen, dass es schon seit langer Zeit e<strong>in</strong>e Identität als<br />

Kulturraum besessen habe, <strong>in</strong> dem es auch immer wieder zu politischen<br />

Zusammenschlüssen gekommen sei; dass daraus aber nie e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelner<br />

Staat, e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zige ethnische Gruppe entstanden wäre. Zu glauben, mit der<br />

modernen Europäischen Union würde diese Situation sich ändern, wäre<br />

zwar e<strong>in</strong> Irrtum, argumentiert Pagden, allerd<strong>in</strong>gs nicht ohne e<strong>in</strong>zuräumen,<br />

dass die Europäische Union das Potenzial hätte, dem europäischen Wesen<br />

am nächsten zu kommen: „The European Union and – should it ever come<br />

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