05.02.2013 Aufrufe

ICONCLASH. Kollektive Bilder und Democratic Governance in Europa

ICONCLASH. Kollektive Bilder und Democratic Governance in Europa

ICONCLASH. Kollektive Bilder und Democratic Governance in Europa

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Realität“ zukomme, dass sie, mit anderen Worten, ausführbar ist? Kants<br />

Antwort, die ebenfalls mit e<strong>in</strong>er weltgeschichtlichen Entwicklung zum<br />

Besseren rechnet, lautet: Weil der Mensch als Gattungswesen beständig<br />

<strong>und</strong> mit naturgesetzlicher Notwendigkeit von der Stufe niedrigster zur Stufe<br />

höchster Entwicklung fortschreitet. Was die Aussicht auf e<strong>in</strong>en sich immer<br />

weiter ausbreitenden B<strong>und</strong> rechtfertigt <strong>und</strong> damit die Garantie des ewigen<br />

Friedens leistet, „ist nichts Ger<strong>in</strong>geres, als die große Künstler<strong>in</strong> Natur (…),<br />

aus deren mechanischem Laufe sichtbarlich Zweckmäßigkeit<br />

hervorleuchtet, durch die Zwietracht der Menschen E<strong>in</strong>tracht selbst wider<br />

ihren Willen emporkommen zu lassen“ (Kant 1977:217).<br />

F<strong>in</strong>det sich am Gr<strong>und</strong> von Kants programmatischer Schrift zum ewigen<br />

Frieden e<strong>in</strong> ähnlich teleologisches Element wie <strong>in</strong> den spekulativen Reden<br />

zu <strong>Europa</strong>, ersche<strong>in</strong>en umgekehrt die Idee von der E<strong>in</strong>heit <strong>in</strong> der Vielfalt<br />

ebenso wie von der Europäischen Union als zukünftiger Erfüllung e<strong>in</strong>es<br />

„europäischen Wesens“ als bruchlose Fortschreibung des Kantischen<br />

Ideals. Wie James Tully <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Ause<strong>in</strong>andersetzung mit diesem<br />

hervorhebt, bestehe der wesentliche Bruch, den die Idee e<strong>in</strong>er Föderation<br />

freier Staaten im politischen Denken der Zeit herbeiführte, zwar <strong>in</strong> der<br />

Überw<strong>in</strong>dung der imperialen Vorstellung von <strong>Europa</strong> als e<strong>in</strong>es Zentrums<br />

von Weltmächten, allerd<strong>in</strong>gs vollziehe dieser Bruch sich bei Kant unter dem<br />

Vorzeichen e<strong>in</strong>es „kulturellen Imperialismus“ europäischer Prägung (vgl.<br />

Tully 2002:331-340). Dieser zeigt sich nicht zuletzt an der<br />

universalisierenden Rolle, welche Kant der Natur als Garanten des ewigen<br />

Friedens e<strong>in</strong>räumt (<strong>in</strong>dem diese sich auch gegen den Willen der Menschen<br />

durchsetzt, legitimiert sie, was Kant eigentlich ablehnt: den europäischen<br />

Imperialismus se<strong>in</strong>er Zeit als historische Bed<strong>in</strong>gung e<strong>in</strong>er dere<strong>in</strong>st<br />

gerechten Ordnung; vgl. Tully 2002:343), womit umgekehrt ebenso deutlich<br />

wird, wie fragwürdig die Rede von e<strong>in</strong>er europäischen E<strong>in</strong>heit <strong>in</strong> der Vielfalt<br />

im Gr<strong>und</strong>e ist: Als kulturelle Identität wird diese E<strong>in</strong>heit <strong>in</strong> der Vielfalt so<br />

lange problematisch bleiben, als die Form dieser E<strong>in</strong>heit nur als<br />

staatsbürgerliche konzipiert wird13 <strong>und</strong> ihr Inhalt sich im Namen des<br />

Fortschritts <strong>und</strong> <strong>in</strong> Abgrenzung gegenüber dem „zurückgebliebenen“,<br />

„unterentwickelten“ oder „abhängigen“ Anderen konstituiert.<br />

Betrachtet man im Gegensatz dazu den Kampf um e<strong>in</strong>e eigenständige<br />

Form von Unabhängigkeit, der außerhalb von <strong>Europa</strong> <strong>in</strong> den ehemals<br />

13 Im Anschluss an Hannah Arendt hat Giorgio Agamben auf das historische Problem<br />

h<strong>in</strong>gewiesen, das e<strong>in</strong>e staatsbürgerliche Fassung des Lebens beispielsweise für den<br />

Universalismus der Menschenrechte darstellt: E<strong>in</strong>e solche Fassung reduziert diesen<br />

Universalismus auf e<strong>in</strong>en Partikularismus, dessen e<strong>in</strong>zige Ausnahme paradoxerweise<br />

dann gerade jenes „nackte Leben“ darstellt, das die Menschenrechte zu schützen<br />

vorgeben: „Die Figur – der Flüchtl<strong>in</strong>g –, die den Menschen der Menschenrechte<br />

schlechth<strong>in</strong> hätte verkörpern sollen, bezeichnet statt dessen die radikale Krise dieser<br />

Konzeption“ (Agamben 2002:135).<br />

36

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!