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DIE ALPENIM BUCH AUSBLICKE AUF EINE TOPOGRAPfflE IN ...

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das Leben ziehen ais ein Beobachter, ein Beobachter allerdings, daB Gott erbarm." (S.<br />

117)<br />

In demselben Zeitraum von 1970 bis 1980 entsteht in den Alpen der Gotthard-<br />

StraBentunnel. Wie der Klappentext des Bûches nahelegt, ist eine Parallèle zwischen den<br />

raenschenfeindlichen Umstánden des Tunnelbaus, bei dem 16 auslãndische Arbeiter ums<br />

Leben kamen, und den Zustânden im Flachland zu ziehen. Auch dort werden Menschen<br />

im Arbeitsprozess verschlissen, wird mit Gewalt vorgegangen, wenn es um die<br />

Durchsetzung staatlicher Ziele geht. Durch die Erwâhnung des Armeeeinsatzes beim Bau<br />

des Gotthard-Eisenbahntunnels vor mehr ais hundert Jahren wird eine Traditionslinie von<br />

staatlicher Gewalt gezeichnet, die von der Vergangenheit bis in die Gegenwart reicht. 190<br />

Ia der Schule hatten wir gelernt, der Genfer Louis Favre habe den Gotthardtunnel gebaut. Unter<br />

der Ûberschrift war ein Bild gewesen: ein Knieender mit nackten Armen, Hammer, MeiBel, am<br />

Helm eine Karbidlampe. Der wirkliche Erbauer des Tunnels - Auslander. Der Tunnel wurde<br />

nãmlich von Lombarden und anderen Auslãndern gebaut. Ais sie bessere Arbeitsbedingungen<br />

verlangten, weil sie im Stollen keinen Sauerstoff bekamen, wurde kurzerhand eine Armee<br />

zusammengestellt und eingesetzt. In die Streikenden wurde ziellos geschossen und mindestens<br />

vier wurden getõtet. Erst arbeitet man jahrelang unter unmenschlichen Bedingungen, teilt den<br />

Schlafplatz im Massenlager mit mehreren Schichtarbeitern, dann wird man zum Dank<br />

erschossen. (S. 11 Of)<br />

Der Gotthard ist fur den Ich-Erzãhler ein Gedãchtnisraum geworden, den er mit<br />

Ausbeutung und Gewalt assoziiert, die ihm auch andernorts begegnet. So beobachtet der<br />

Ich-Erzãhler z.B. auch den Polizeieinsatz bei Demonstrationen fur ein Jugendhaus und<br />

bei der Rãumung von besetzten Hãusern. Die Auseinandersetzungen mit der Polizei<br />

gehõren zu seinen wiederkehrenden Erfahrungen; diese Episoden werden ironisch mit<br />

dem Euphemismus „alltãgliche Einladung" (S. 50 f), „alltãgliche Einladung II" (S. 93ff),<br />

„alltágliche Einladung III" (S. 96fí) und „alltãgliche Einladung IV" (S. 101)<br />

Wie stark der Bau des Gotthardtunnels und die daran beteiligten Arbeiter das kollektive Imaginare<br />

beeinflusst hat, zeigt auch der Text von Gertrud Leutenegger Gleich nach dem Gotthard kommt der<br />

Mailãnder Dom. Dort heifit es: Diese Statuen [auf dem Mailãnder Dom] aber waren es, die meine Idee<br />

des Bildes wahrend des Betrachtens veranderten. Zuoberst postiert auf den unzãhligen Tiirmen, von<br />

nicht erkennbaren Lichtquellen gespenstisch angestrahlt, waren es nicht die Arbeiter in den Tunnels,<br />

jeder einzelne erstarrt auf einem frostigen Gipfel des Gotthardmassivs?... Jedenfalls hat dieses Bild mein<br />

Imaginares entzûndet wie kein anderes. In Gasser (Hrsg.), 2000: 85-87<br />

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