Peer-Mediation im Schulalltag : ein Handbuch für Lehrer
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Während die meisten Wirkungsthesen von passiven Rezipient/innen ausgehen (die<br />
manchmal wie gebannte Kaninchen vor der Schlange gesehen werden), setzt der Nutzenansatz<br />
den/die „aktive Konsumenten/in“ in den Mittelpunkt. Um dies zu verdeutlichen,<br />
lässt sich umgekehrt zur oft zitierten M<strong>ein</strong>ung, dass gewaltorientierte<br />
Menschen bzw. Kinder bevorzugt Gewaltfilme ansehen, ebenso vertreten, dass es<br />
eher ängstliche Menschen wären. Dass Vielseher/innen nicht ängstlich sind, weil sie<br />
viel fernsehen, sondern weil sie ängstlich sind. Fernsehen bietet ihnen die Möglichkeit,<br />
sich zurückzuziehen, mit wenigen Menschen in Kontakt zu kommen und weniger<br />
Probleme bewältigen zu müssen.<br />
Des Weiteren legt VITOUCH 73 die Vermutung nahe, dass Gewaltprogramme vor<br />
allem von Jugendlichen als <strong>ein</strong>e Art Training <strong>für</strong> die Angstbewältigung unter geschützten<br />
Bedingungen benützt werden. Demnach sind es nicht die besonders Tapferen,<br />
die viel Gewalt konsumieren. Die Medien bieten dabei <strong>ein</strong>e Kontrollmöglichkeit<br />
über die Situation: Man kann sich den eigenen Ängsten stellen aber hat Kontrolle<br />
über die Situation und man kann beispielsweise wegschauen oder den Fernseher abschalten,<br />
wenn die Angst übermächtig wird.<br />
Neben risikoreichen Freizeitbeschäftigungen besteht auch durch die Medien die<br />
Möglichkeit, <strong>ein</strong>e Aktivierungssteigerung herbeizuführen. Auch hier bieten sie die<br />
Chance, lediglich <strong>ein</strong> „sicheres Risiko“ <strong>ein</strong>zugehen, das <strong>ein</strong>erseits aufregend, andererseits<br />
aber jederzeit beherrschbar ist (z.B. Horrorfilme). Allerdings trifft hier <strong>ein</strong> Gewöhnungseffekt<br />
<strong>ein</strong>, der <strong>ein</strong>e <strong>im</strong>mer höhere Dosis an Risiko und Aktivierung fordert,<br />
um das erwünschte Ergebnis zu erreichen. Dies kann <strong>ein</strong> Anstieg des Brutalisierungsgrades<br />
der konsumierten Filme bedeuten. 74<br />
Warum widmen also Kinder den Medien so viel Zeit und Aufmerksamkeit? Was suchen Jugendliche<br />
in den Medien? Sie setzen sich vor den Fernseher, wenn sie sich entspannen oder unterhalten<br />
möchten, wenn ihre Spielwelten begrenzt sind oder wenn sie auf der Suche nach Phantasie und<br />
Abenteuern sind. In der Regel ist kindlicher Medienkonsum angeleitet durch die Suche nach Themen<br />
wie: „noch nicht groß zu s<strong>ein</strong>“, „endlich selbst entscheiden zu können“, „nicht das zu bekommen,<br />
was man will“, etc ... aber auch von Verlust- und Trennungsängsten. „Aus diesem Grund haben<br />
Kinder <strong>ein</strong> viel größeres Bedürfnis nach Tagträumen als Erwachsene. Je <strong>ein</strong>geschränkter ihr Alltagsleben<br />
ist, um so größer ist ihre Sehnsucht nach Stoffen, aus denen die Tagträume sind.“ 75 Fiktionale<br />
Genres wie Zeichentrickserien, Action-Cartoons, Action-Serien und Märchenfilme beleben<br />
diese Träume. Hier werden Themen angesprochen, die Kinder interessieren. Die Figuren und Helden<br />
verkörpern Eigenschaften wie Größe, Mut, Kraft, Autonomie, Können und Wissen – Eigenschaften,<br />
die Kinder <strong>für</strong> sich selbst wünschen. Sie interessiert dabei nicht, ob sie sich nun „Schund“<br />
anschauen oder <strong>ein</strong>e pädagogisch wertvolle Sendung – dies sind die Kriterien der Erwachsenen sowohl<br />
in inhaltlicher als auch ästhetischer Hinsicht. Kinder finden z.B. in den von Erwachsenen oft<br />
verschmähten Actionserien Anhaltspunkte <strong>für</strong> ihre Angst- und Konfliktbewältigung. Wenn vorhin<br />
die Rede davon war, dass die Väter oft nicht in den Familien wirklich anwesend sind, die medialen<br />
Held/innen sind’s – jeden Tag aufs Neue. In den Serien entsprechen sie in besonderer Art und Weise<br />
den kindlichen Vorstellungswelten und Träumen. Sie kennen weder räumliche noch zeitliche Grenzen,<br />
setzen die Logik außer Kraft, stellen die Wirklichkeit auf den Kopf und sagen Autoritäten den<br />
73 vgl. VITOUCH Peter; Gewaltfilme als Angsttraining? Interviewmit Joach<strong>im</strong>von Gottberg; in: tv diskurs 2/1997<br />
74 vgl. VITOUCH 1997<br />
75 BETTELHEIM Bruno; Brauchen Kinder Fernsehen? (München) Televizion 1/1988, 5