Peer-Mediation im Schulalltag : ein Handbuch für Lehrer
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bergen, Masken anzulegen, den eigenen Lebensstil mit <strong>ein</strong>em Gehe<strong>im</strong>code zu versehen<br />
und Vertrautes <strong>im</strong>mer wieder verfremden zu können.<br />
- Sophie wird sich bisweilen aus dem rasanten postmodernen Gesellschaftsspiel auszuklinken<br />
versuchen. Wo Geschwindigkeit Trumpf ist, entdeckt sie die Langsamkeit<br />
oder nachdenkliches, „aktives“ Wartenkönnen. Dann gibt sie Kontrolle ab, überläßt<br />
sich dem Fluß der Ereignisse und erträgt, daß es <strong>für</strong> vieles k<strong>ein</strong> zweites Mal und <strong>im</strong><br />
Leben nicht alles geben kann. (BÖHME 1985, 281ff)<br />
- Um <strong>ein</strong> ghettoisiertes Single-Das<strong>ein</strong> zu vermeiden, muß Sophie <strong>ein</strong>en erheblichen Teil<br />
ihres Zeitbudgets darauf verwenden, um die sie tragenden, sozialen Netzwerke zu<br />
knüpfen. Hier<strong>für</strong> braucht sie <strong>ein</strong>en langen Atem bzw. sie muß „am Ball bleiben“, sonst<br />
„zerfasern diese Netze oder lösen sich auf“ (KEUPP 1994,37). Als Handwerkzeug benötigt<br />
Sophie <strong>ein</strong>e Art soziale Phantasie und moralische Sensibilität.<br />
- Zuletzt sei noch <strong>ein</strong>mal auf die Fähigkeit verwiesen, „ohne Angst verschieden s<strong>ein</strong> zu<br />
können.“ Darin wird zugleich anerkannt, daß wir auch <strong>für</strong> uns selbst stets Fremde bleiben<br />
und uns als Personen nie gänzlich „haben“ werden. Gelingt dies Sophie nicht,<br />
droht jener suchtförmige Sog, mit sich identisch s<strong>ein</strong> zu wollen.“ 28<br />
1.4.1 Familie<br />
Die oben angeführten gesellschaftlichen Umbrüche haben die Lebenswelt der Kinder ebenso wie<br />
jene der Erwachsenen verwandelt. Viele dieser Veränderungen können als Ursachen <strong>für</strong> aggressives<br />
und gewalttätiges Verhalten von Kindern und Jugendlichen gesehen werden. Ein – wenn nicht<br />
sogar der bedeutendste – Schlüssel zum Verständnis von Gewalttätigkeiten <strong>im</strong> Kindes- und Jugendalter<br />
liegt wohl <strong>im</strong> Familienbereich.<br />
Eltern üben durch Erziehung und durch ihr eigenes Verhalten enormen Einfluss auf die Entwicklung<br />
ihrer Kinder aus. Nach wie vor ist Gewalt in der Familie <strong>ein</strong> Thema, werden noch zu viele Kinder<br />
von den Eltern verprügelt, misshandelt oder über subtilere Wege gefügig gemacht. Doch nachfolgend<br />
soll der Blick auf Familie und Erziehung anders fokussiert werden. Familie und Erziehung<br />
soll <strong>ein</strong>gebettet in den gesellschaftlichen Kontext betrachtet werden, mögliche Zusammenhänge<br />
<strong>für</strong> gewalttätiges Verhalten soll aus den familiären und gesellschaftlichen Verhältnissen heraus angedacht<br />
werden.<br />
Blickt man auf die Geschichte der Kindheit zurück, so fällt auf, dass es Kindererziehung <strong>im</strong> eigentlichen<br />
Sinne lange Zeit gar nicht gab. Kindern wurde in der vorindustriellen Gesellschaft k<strong>ein</strong>e<br />
besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Kinder galten als unfertige, noch nicht ganz vollständige<br />
Menschen. Statt Erziehung <strong>im</strong> heutigen Sinne gab es moralische Anleitung, Einübung in Gottesfurcht,<br />
Gehorsam und Tugend. Ansonsten bezog sich die Versorgung der Kinder auf das Elementarste.<br />
Daneben gab es <strong>ein</strong>e Beaufsichtigung, um das Kind vor den Gefahren zu beschützen, und<br />
es gab Bestrafung, körperliche Bestrafung. All dies lief neben der Alltagsarbeit.<br />
Erst mit dem Übergang zur Moderne rückte auch die Kindererziehung <strong>im</strong>mer mehr in den Vordergrund,<br />
die Kindheit wurde entdeckt (Philippe ARIES). Was zunächst be<strong>im</strong> Bürgertum ansetzte, fand<br />
in <strong>im</strong>mer mehr Schichten Eingang, das Kind wurde als eigenständiges Wesen mit eigenen Bedürfnissen<br />
und Rechten gesehen. Das Individuum Kind „wächst“ heran, mit ihm das Interesse der Erwachsenen<br />
an ihm. So begann <strong>im</strong> 19.Jh die gezielte Einflussnahme auf die Entwicklung des Kindes,<br />
auf dass es gut gedeihe. Damit wuchsen aber auch jene Personenkreise heran, die bestrebt<br />
28 METZMACHER/ ZAEPFEL 1996, 54ff