Peer-Mediation im Schulalltag : ein Handbuch für Lehrer
Peer-Mediation im Schulalltag : ein Handbuch für Lehrer
Peer-Mediation im Schulalltag : ein Handbuch für Lehrer
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
2.6 KONFLIKTVERLAUF<br />
GLASL 105 gibt <strong>ein</strong>e bildhafte Beschreibung dessen wieder, wie sich seelische Faktoren in sozialen<br />
Konflikten bemerkbar machen können:<br />
Konflikte üben auf die meisten Menschen <strong>ein</strong>e Wirkung aus wie <strong>ein</strong> Fluss <strong>im</strong> Gebirge:<br />
Wir geraten in den Strudel der Konfliktereignisse und merken plötzlich, wie uns <strong>ein</strong>e Macht mitzureißen<br />
droht. Wir müssen all unsere Sinne wach halten und sehr überlegt handeln, damit wir<br />
uns nicht in <strong>ein</strong>e Dynamik des Geschehens weiter verstricken, die über unsere Kräfte geht. Wie ist<br />
diese Wirkung der Konflikte zu erklären? (…)<br />
Konflikte be<strong>ein</strong>trächtigen unsere Wahrnehmungsfähigkeit und unser Denk- und Vorstellungsleben<br />
so sehr, dass wir <strong>im</strong> Lauf der Ereignisse die Dinge in uns und um uns herum nicht<br />
mehr richtig sehen. Es ist so, als würde sich unser Auge <strong>im</strong>mer mehr trüben; unsere Sicht auf uns<br />
und die gegnerischen Menschen <strong>im</strong> Konflikt, auf die Probleme und Geschehnisse wird geschmälert,<br />
verzerrt und völlig <strong>ein</strong>seitig. Unser Denk- und Vorstellungsleben folgt Zwängen, derer wir uns nicht<br />
hinreichend bewusst sind.<br />
Auch unser Gefühlsleben wird stark be<strong>ein</strong>trächtigt. Wir werden zunächst sehr hin und<br />
her gerissen zwischen Verstehen und Ablehnung, Sympathie und Antipathie; bis sich dann starke<br />
Gefühle und Emotionen ausbreiten und fixieren, von denen wir uns später nur ganz schwer lösen<br />
können. Sie setzen sich in uns fest und gewinnen <strong>ein</strong> Eigenleben.<br />
Ähnlich auffällig sind die Veränderungen in unserem Willensleben. Wir werden <strong>ein</strong>seitig<br />
auf unsere verm<strong>ein</strong>tlichen Interessen fixiert; mit jeder Aktion und Reaktion <strong>im</strong> Zuge der Konfliktaustragung<br />
werden in uns solche Seiten angesprochen, derer wir uns <strong>im</strong> Großen und Ganzen<br />
gar nicht bewusst sind. Wir können dann zu unserem Erstaunen feststellen, dass wir <strong>im</strong>stande<br />
sind zu hassen, wie wir es von uns nicht <strong>für</strong> möglich gehalten haben. Und dass sich in unseren Aktionen<br />
Dinge entladen, die nicht zu unseren besten menschlichen Absichten gehören und die mit<br />
unseren sonstigen sittlichen Auffassungen nicht zusammenpassen.<br />
All diese Veränderungen und Be<strong>ein</strong>trächtigungen wirken zusammen. Sie be<strong>ein</strong>flussen <strong>ein</strong>ander,<br />
verstärken sich gegenseitig und führen dazu, dass wir auf diese Weise die Kontrolle über<br />
uns selbst verlieren. Dies drückt sich dann in unserem äußeren Verhalten aus: Es wird aggressiver,<br />
zerstörerischer. Wir lösen durch Wort und Tat Wirkungen aus, die wir zumeist so gar nicht gewollt<br />
hätten.<br />
Und all dies bewirkt nur, dass auch unsere Gegenparteien <strong>im</strong> Konflikt zu mehr Gewalt greifen, dass<br />
auch sie starrer und rücksichtsloser werden und uns noch mehr ärgern, reizen und bedrängen. Dadurch<br />
steigern wir <strong>ein</strong>ander in <strong>ein</strong>e Eskalation des Konfliktes, die zuletzt so intensiv werden kann,<br />
dass wir uns dem Konflikt völlig ausgeliefert fühlen. (...)<br />
Im Laufe des Konfliktes beginnen wir, die Welt anders zu sehen und zu verstehen. Unser<br />
Blick verengt sich.<br />
Selektive Aufmerksamkeit: Manche Dinge sehen wir besonders scharf, andere übersehen<br />
wir. (...) Nach und nach wird unsere Wahrnehmung also gefiltert und verzerrt.<br />
Eine besondere Form dieser selektiven Aufmerksamkeit ist <strong>ein</strong>e auffällige Einengung unserer<br />
Raum- und Zeitperspektiven. Wir tun uns <strong>im</strong>mer schwerer, viele und komplexe Dinge aufzunehmen,<br />
bei denen die Zusammenhänge recht kompliziert sind. Wir s<strong>im</strong>plifizieren und reduzieren die<br />
Wirklichkeit zu <strong>ein</strong>er <strong>ein</strong>fachen und überschaubaren Konstruktion unserer Wirklichkeit. (...)<br />
Genau so werden der Konfliktstoff und die Konfliktgeschehnisse <strong>ein</strong>seitig und verzerrt wahrgenommen:<br />
Wir registrieren gar nicht, um welche Streitgegenstände es dem Gegner geht, weil wir<br />
nur unsere eigenen Konfliktpunkte <strong>im</strong> Kopf haben.<br />
105 GLASL 2004, 39 ff<br />
128