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Peer-Mediation im Schulalltag : ein Handbuch für Lehrer

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1.3 AUFWACHSEN IN DER MODERNE<br />

Die Lebensbedingungen der Menschen haben sich in den letzten Jahrzehnten drastisch geändert.<br />

Die moderne westliche Welt gilt als Welt des technischen Fortschritts und des kapitalistischen<br />

Wachstums: Automatisierung und Weltwirtschaft, Umstrukturierung der Arbeit zu geringerer körperlicher<br />

Belastung und erhöhten Ansprüchen an Qualifikation, Selbstdisziplin und sozialen Fertigkeiten<br />

sowie Lernfähigkeit. Der Zug ist längst abgefahren, nur k<strong>ein</strong>er weiß genau wohin: Jürgen<br />

HABERMAS spricht von der „neuen Unübersichtlichkeit“, d.h. dass in höchstem Maße unklar ist,<br />

welche gesellschaftliche Entwicklungslinien <strong>im</strong> Zuge dieser Modernisierung sich abzeichnen.<br />

Dabei sticht jedoch <strong>ein</strong>e Dynamik <strong>im</strong>mer wieder heraus: die Individualisierung von Lebenslagen<br />

und Lebenswegen. Ursachen dieser Individualisierung liegen etwa in:<br />

- der sozialen und geographischen Mobilität, die zur Folge hat, dass Menschen aus<br />

ihren Herkunftsfamilien herausgelöst und durch<strong>ein</strong>andergewirbelt werden, wodurch<br />

<strong>ein</strong>erseits neue Beziehungsmuster entstehen können, aber nicht müssen und oft nur<br />

von kurzer Dauer sind;<br />

- Konkurrenzbeziehungen, die lebenszeitlich <strong>im</strong>mer früher <strong>ein</strong>setzen, in <strong>im</strong>mer weitere<br />

soziale Bereiche vordringen - und individuelle Abschottung, Ver<strong>ein</strong>zelung und<br />

Entsolidarisierung nach sich ziehen;<br />

- neuen Formen von Wohnverhältnissen, welche die alten, gewachsenen Wohnquartiere<br />

ersetzen aber vorwiegend nur lockere Bekanntschafts- und Nachbarschaftsverhältnisse<br />

entwickeln;<br />

- der Arbeitsmarktdynamik, die <strong>im</strong>mer weitere Bevölkerungskreise erfasst, wo <strong>im</strong>mer<br />

mehr Menschen von Arbeitslosigkeit erfasst werden;<br />

- <strong>ein</strong>em kontinuierlichen Sinken der Erwerbszeit mit neuen Chancen der Entfaltungsmöglichkeiten,<br />

wobei auch Belastungen durch neue „unausgefüllte“ Zeiträume<br />

möglich sind.<br />

Durch all diese Prozesse und Veränderungen (und noch viele andere mehr) wird <strong>ein</strong>e Dynamik bewirkt,<br />

die die Menschen aus traditionellen Bindungen und Versorgungsbezügen herauslöst, sie<br />

letztendlich auf sich selbst und ihr individuelles (Arbeits-)Schicksal mit allen Risiken, Chancen und<br />

Widersprüchen verweist. Intermediäre Instanzen wie Familie, Arbeitsgruppe, Nachbarschaft gehen<br />

in ihrer Bedeutung zurück, Individuum und Gesellschaftsstruktur werden sozusagen <strong>im</strong>mer direkter<br />

kurzgeschlossen. Das Individuum fühlt sich zunehmend auf sich selbst zurückgeworfen und<br />

sozial isoliert. Desintegration und neue Polarisierungen sind die Folgen (siehe dazu z.B. die Dynamiken,<br />

die durch den zunehmenden Pflegebedarf bei älteren Menschen entstehen).<br />

„Die beginnende Industrialisierung, das Anwachsen der Städte, die zunehmende Mobilität<br />

– solche und ähnliche Entwicklungen leiten <strong>ein</strong>e Herauslösung des Menschen aus traditionell<br />

gewachsenen Bindungen, Glaubenssystemen, Sozialbeziehungen <strong>ein</strong>. Damit zugleich entstehen<br />

neue Formen des Lebenslaufs, neue Denk- und Verhaltensweisen, neue Anforderungen,<br />

Erwartungen, Ziele. Um eben diesen epochalen Wandel geht es, wenn in sozialwissenschaftlichen<br />

Analysen von „Individualisierung“ die Rede ist. Dieses Konzept thematisiert die biographischen<br />

Folgen von Modernisierungsprozessen; … wie solche Entwicklungen auf der Makro-Ebene der Gesellschaft<br />

in vielerlei Formen hin<strong>ein</strong>wirken in den ganz privaten Lebensraum: wie sie den biographischen<br />

Horizont verändern, neue Möglichkeiten, Konflikte und Zwänge vorgeben.“ 16<br />

16 BECK-GERNSHEIM Elisabeth; Individualisierungstheorie: Veränderungen des Lebenslaufs in der Moderne; in: KEUPP H<strong>ein</strong>er<br />

(Hg); Zugänge zum Subjekt. Perspektiven <strong>ein</strong>er reflexiven Sozialpsychologie; Frankfurt a.M. 1994, 125f<br />

17 NEUBAUER Walter; Identitätsentwicklung; in: MARKEFKA Manfred/ NAUCK Bernhard (Hg.); <strong>Handbuch</strong> der Kindheitsforschung;<br />

Neuwied 1993, 303<br />

18 vgl. PIAGET Jean; Das Erwachen der Intelligenz be<strong>im</strong> Kinde; Stuttgart 1969<br />

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