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Offene Tore 2000 - Orah.ch

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OFFENE TORE: Jahrbu<strong>ch</strong> <strong>2000</strong> 27<br />

S<strong>ch</strong>reiben. Jung-Stilling dürfte zeitlebens gut 20 000 Briefe verfasst haben; die Korrespondenz<br />

belegt besonders im letzten Lebensabs<strong>ch</strong>nitt einen Gutteil seiner Zeit. In allem<br />

aber steht die praktis<strong>ch</strong>e Frömmigkeit im Vordergrund. Lehrmeinungen treten<br />

demgegenüber zurück.<br />

Hinzu kommt, dass si<strong>ch</strong> Jung-Stilling selbst stets als Mitglied der reformierten Kir<strong>ch</strong>e<br />

sah, wie er mehrmals betonte. Von deren Kernlehren wollte er ni<strong>ch</strong>t abwei<strong>ch</strong>en — wiewohl<br />

er das etwa in Bezug auf seine Aussagen zum Wirken der Engel und seine Bes<strong>ch</strong>reibung<br />

des Hades offenkundig tat. Das bra<strong>ch</strong>te ihm s<strong>ch</strong>on zu Lebzeiten hars<strong>ch</strong>e Kritik<br />

seitens der Theologen ein. Bis heute hält dies an; und no<strong>ch</strong> im Katalog der Jung-<br />

Stilling-Ausstellung Karlsruhe 1990 zählt ein Theologe und Jung-Stilling-Kenner die<br />

"Theorie der Geister=Kunde" den "abstrusen spiritistis<strong>ch</strong>en" Bü<strong>ch</strong>ern bei. Der Lehre von<br />

Engeln und Geistern gegenüber reagiert man im reformierten Umfeld günstigenfalls mit<br />

milden Lä<strong>ch</strong>eln, oft genug mit Entrüstung und Empörung. Dass der unendli<strong>ch</strong>en Vielfalt<br />

der si<strong>ch</strong>tbaren S<strong>ch</strong>öpfung Gottes au<strong>ch</strong> eine Vielfalt in der ni<strong>ch</strong>tkörperli<strong>ch</strong>en Welt entspri<strong>ch</strong>t,<br />

gilt als ausges<strong>ch</strong>lossen.<br />

Endli<strong>ch</strong> aber hatte Jung-Stilling ein Misstrauen gegen jede Art von Separatismus, verstanden<br />

hier als Abspaltung von der Volkskir<strong>ch</strong>e. In seiner Jugend zuhause und in seiner<br />

Zeit im Bergis<strong>ch</strong>en Land lernte er religiöse Gemeins<strong>ch</strong>aften kennen, die er in seinem<br />

Bu<strong>ch</strong> "Theobald oder die S<strong>ch</strong>wärmer, eine wahre Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te" s<strong>ch</strong>ildert. Je mehr<br />

si<strong>ch</strong> diese von der Leitlinie der Kir<strong>ch</strong>enlehre entfernten, desto überspannter und wirkli<strong>ch</strong>keitsferner<br />

gestalteten sie si<strong>ch</strong> selbst: das zei<strong>ch</strong>net Jung-Stilling deutli<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong>. Deshalb<br />

s<strong>ch</strong>reibt er au<strong>ch</strong> als Motto: "Mittelmaß die beste Straß" in den Untertitel seines<br />

Theobald-Romans.<br />

In seinem letzten Lebensabs<strong>ch</strong>nitt verdä<strong>ch</strong>tigte man Jung-Stilling, geistiger Vater vieler<br />

damals aufblühender religiöser Gruppen mit s<strong>ch</strong>wärmeris<strong>ch</strong>er, ja teilweise sogar revolutionärer<br />

Lehre zu sein. Er musste si<strong>ch</strong> gegen sol<strong>ch</strong>e Vorwürfe in einer eigenen S<strong>ch</strong>rift<br />

wehren. Au<strong>ch</strong> das festigte Jung-Stilling in seiner Haltung, die verfasste Grosskir<strong>ch</strong>e zu<br />

bestärken und der Glaubensüberzeugung ihrer Vorsteher gemäss Hebr. 13, 7 zu folgen.<br />

Jung-Stilling beeinflusste aber ohne Zweifel die gelebte Glaubenspraxis, die Frömmigkeit<br />

der reformierten Kir<strong>ch</strong>e seiner Zeit. Zumindest Rinnsale dieses Stromes sind bis<br />

heute spürbar.

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