Modalverben - ein Klassenkampf - German Grammar Group FU Berlin
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aufgrund ihrer Wortstellung NICHT als kohärent bezeichnet werden<br />
können. 62<br />
Hinsichtlich der Topologie der MV ergeben die gesammelten Daten aus<br />
Wolframs Parzival folgendes Bild: sowohl in V1/V2 und VL sch<strong>ein</strong>en im Mhd<br />
die MV und die von ihnen abhängenden Elemente lockereren<br />
Stellungsbeschränkungen zu unterliegen als im Nhd. In V1/V2 äußert sich<br />
dies durch die Möglichkeit der Extraposition von Komplementen und<br />
Adjunkten (vor allem) des Infinitivs, in VL in erster Linie in der Möglichkeit,<br />
den Infinitiv selbst zu extraponieren. Ein extraponierter Infinitiv in VL stellt im<br />
Nhd den Paradefall für Inkohärenz da. Die Wahrsch<strong>ein</strong>lichkeit ist sehr groß,<br />
daß die MV im Mhd in anderen Konstruktionen vorkamen als in kohärenten.<br />
Da sich aber nicht eruieren läßt, zu welchem Ausmaß die vom nhd Gebrauch<br />
abweichenden Wortstellungen nicht durch Reim und Metrum bedingt sind,<br />
bleiben die hier getroffenen Aussagen über die Topologie der MV zum<br />
großen Teil recht spekulativ. Einen interessanten Verweis hiezu bringt Reis<br />
(2001: 309), demzufolge sich die Opposition [+/- kohärent] sich erst nach<br />
62 Folgt man Bechs (1955/57) Unterscheidung von Kohärenz und Inkohärenz im Detail, so<br />
fände man Einwand gegen diese Behauptung. Bech (1955/57: 62ff.) geht nämlich davon aus,<br />
daß in kohärenten Konstruktionen das Kohärenzfeld auch über <strong>ein</strong> sogenanntes Oberfeld<br />
verfügen kann, das entweder nur aus finiten Verben und Verben des 1. Status bestehen kann.<br />
Das Oberfeld befindet sich am linken Rand des Kohärenzfeldes und b<strong>ein</strong>haltet im Regelfall<br />
dessen maximal übergeordnetes Verb und selten auch noch <strong>ein</strong> davon regiertes Verb des 1.<br />
Status, die übrigen Verben ergeben das Unterfeld. Bech (1955/57) und in der Folge auch<br />
Grewendorf (1987: 130) unterscheiden Oberfeld und Unterfeld darüber hinaus durch die<br />
Reihenfolge der Verben: während für das Unterfeld die Folge ”Rektum vor Regens” gilt,<br />
zeichnet sich das Oberfeld durch die Folge ”Regens vor Rektum” aus:<br />
(1) daß er (wird1 können2) (liegen3 bleiben4). (=Günther<br />
Grewendorf 2-16)<br />
(2) (V´ V´´) (V´´´´ V´´´)<br />
In (1) ergeben das finite Verb wird und s<strong>ein</strong> Rektum können, <strong>ein</strong> Verb des 1. Status,<br />
zusammen das Oberfeld mit der entsprechenden Wortfolge, siehe (2). liegen und bleiben bilden<br />
hingegen das Unterfeld.<br />
Die Annahme <strong>ein</strong>es solchen Oberfeldes für Kohärenz hat aber schwerwiegende konzeptuelle<br />
Konsequenzen. Auf diese Weise würde nämlich in kohärenten Konstruktionen die Extraposition<br />
des Infinitivs erlauben, sodaß diese von inkohärenten Komplexen kaum noch zu unterscheiden<br />
wären. Aufgrund ihres 1. Status könnten MV in jedem Fall in <strong>ein</strong>em Oberfeld stehen, gefolgt von<br />
<strong>ein</strong>em Unterfeld oder in anderen Worten: von <strong>ein</strong>em extraponiertem Infinitiv. Beziehungsweise<br />
könnten alle obligatorisch kohärenten Verben des 2. Status in finiter Form ihren Infinitiv<br />
extraponieren.<br />
Da im Nhd die obligatorisch kohärenten Verben des 1. und 2. Status aber nie mit Extraposition<br />
auftreten, wie Wurmbrand (2001: 292ff.) zeigte, und ich Beispiel (1) als hochgradig markiert bis<br />
ungrammatisch erachte, halte ich <strong>ein</strong>e derartige Theorie des Oberfeldes für fragwürdig. Weder<br />
Bech (1955/57: 62f.) noch Grewendorf (1987: 130) leugnen den markierten Charakter der<br />
Oberfeldkonstruktionen, der sich in intonatorischen Besonderheiten äußert, sodaß es nicht als<br />
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