Modalverben - ein Klassenkampf - German Grammar Group FU Berlin
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geläufig, die ausnahmslos nachweislich <strong>ein</strong> größeres Alter aufzuweisen<br />
haben als die Formen mit Infinitiv.<br />
Das alles spricht für die Annahme <strong>ein</strong>es GR-Kanals für die deutschen MV<br />
im Lehmannschen Sinne, der bei Vollverben ohne Infinitivanschluß mit<br />
geeigneter Semantik beginnt und zumindest bis zur Herausbildung <strong>ein</strong>er<br />
epistemischen Lesart führt. Diewald (1999:34) expliziert Lehmanns Ansatz<br />
für die deutschen MV und unterteilt den GR-Prozeß in drei große Stufen:<br />
Vollverb > Vektorverb > Auxiliar<br />
Ohne schwerwiegende Ungenauigkeiten zu begehen, lassen sich die<br />
Begriffe Vektorverb und Auxiliar in DMV beziehungsweise EMV übersetzen.<br />
Doch Vorsicht, diese GR-Theorie bedeutet nun k<strong>ein</strong>eswegs, daß sobald <strong>ein</strong><br />
Lexem <strong>ein</strong>e neue Stufe erreicht hat, s<strong>ein</strong>e Formen aus der vorangegangenen<br />
Stufe allesamt ausgelöscht sind. Vielmehr überleben auch die alten Formen<br />
diesen ”Generationswechsel” zumindest <strong>ein</strong>e bestimmte Zeit, sodaß jedes<br />
Lexem über interkategoriale Formen verfügt, wie Diewald (1999: 49) zeigt. Im<br />
Falle des MV können besteht diese Interkategorialität in der gleichzeitigen<br />
Existenz von transitiven Vollverbgebrauch, DMV und EMV. Genausowenig<br />
bedeutet diese GR-Theorie, daß sich die (Vorgänger der) sechs klassischen<br />
MV-Lexeme immer synchron zu <strong>ein</strong>ander entwickelt haben. Selbst diese<br />
haben zu verschiedenen Zeitpunkten in den hier besprochenen GR-Kanal<br />
getreten. Basierend auf den frühesten Dokumenten der deutschen Sprache<br />
entwirft Diewald (1999: 296) folgendes Bild der (Prä-)MV: nur drei der sechs<br />
Verben, deren Abkömmlinge zum Kern des heutigen MV-Systems zählen,<br />
weisen <strong>ein</strong> nennenswertes Maß an GR auf: sculan, mugan und wellen. Die<br />
verbleibenden drei tauchen vor allem als Vollverben auf und sind anfangs nur<br />
marginal grammatikalisiert, von den jüngeren MV ganz zu schweigen. Diese<br />
Auffassung wird vielfach geteilt, unter anderem von Krause (1997) und<br />
Schrodt (2004).<br />
Angesichts der Tatsache, daß im Ahd die meisten der hier im Mittelpunkt<br />
der Forschung stehenden Verben höchstens die zweite Stufe in der GR<br />
erreicht haben, ist es mehr als nur fragwürdig sie nach obiger Definition<br />
schon als MV zu bezeichnen. Das heißt, nach der hier vertretenen Ansicht<br />
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