Modalverben - ein Klassenkampf - German Grammar Group FU Berlin
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erklären: <strong>ein</strong> lexikalisches Element entwickelt sich im Laufe der Zeit langsam<br />
zu <strong>ein</strong>em funktionalem, wobei sich aber nicht all s<strong>ein</strong>e Vorkommen gleich<br />
schnell entwickeln: manche bleiben auf unterschiedlichen Stufen zurück und<br />
fossilisieren, andere verschwinden gar vollständig. Auf diese Weise entstand<br />
die Interkategorialität der MV (Diewald 1999), die sich in der Existenz von<br />
älteren DMV und jüngeren EMV offenbart und in manchen Fällen sogar noch<br />
im Vorkommen ihrer transitiven Urform.<br />
Da manche Verben aber im Stande sind, ohne Infinitiv Epistemizität<br />
auszudrücken, während dies für die meisten anderen aber nicht zutrifft,<br />
kommen wir mit der Annahme <strong>ein</strong>es <strong>ein</strong>zigen GR-Kanal für (Quasi-)MV nicht<br />
aus. Offensichtlich existiert für diese Verben vielmehr <strong>ein</strong> verzweigtes<br />
Netzwerk an GR-Kanälen, die von verschiedenen Vollverben mit geeigneter<br />
Semantik ausgehen und auf dem Weg zur Epistemizität nach und nach in<br />
<strong>ein</strong>ander münden. Ausschlaggebend dafür, ob sich nun <strong>ein</strong> Verb zu <strong>ein</strong>em<br />
(quasi-)EMV entwickeln kann, dürfte folglich vor allem s<strong>ein</strong>e Semantik s<strong>ein</strong>.<br />
Daß die GR von epistemischen Verben aber k<strong>ein</strong> r<strong>ein</strong> semantischer Prozeß<br />
ist, zeigt der Umstand, daß sie allesamt Wurmbrands (2001) FR<br />
zuzurechnen sind – mit der Ausnahme von dem Kontrollverb wollen, das aus<br />
vielerlei Gründen sich von den (übrigen?) epistemischen Verben deutlich<br />
unterscheidet. Tatsächlich sch<strong>ein</strong>t wollen gar k<strong>ein</strong>e epistemische<br />
Interpretation zu besitzen, was uns hier aber weiter nicht stören soll.<br />
Der <strong>ein</strong>zige Punkt, der für <strong>ein</strong>e gleichberechtigte epistemische Lesart von<br />
wollen spricht, ist in der Reflextheorie zu suchen. Diese besagt, daß die EMV<br />
jeweils die Bedeutung ihrer deontischen Entsprechungen in verblaßter Form<br />
widerspiegeln. Das trifft aber wahrsch<strong>ein</strong>lich auf alle<br />
Grammatikalisierungsprozesse zu, und nicht nur auf die Herausbildung der<br />
EMV. Somit ist die Reflextheorie als nichts anderes anzusehen als <strong>ein</strong>e<br />
Instantierung von Lightfoots (1979) Restriktion, daß Sprachwandel die<br />
Kommunikation zwischen zwei Generationen nicht b<strong>ein</strong>trächtigen darf.<br />
Im Gegensatz zu Fritz (1997), Krause (1997), Diewald (1999), Abraham<br />
(2003b) und Leiss (2003a,b) kam diese Studie zu dem Schluß, daß vor dem<br />
Fnhd k<strong>ein</strong> <strong>ein</strong>ziges MV systematisch zur Kodierung von Epistemizität<br />
Verwendung fand. Der große Schub erfolgte Reis (2001) zufolge erst um<br />
1500 und steht womöglich im Zusammenhang mit <strong>ein</strong>er Re-Analyse, die <strong>ein</strong>e<br />
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