Modalverben - ein Klassenkampf - German Grammar Group FU Berlin
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versprechen <strong>ein</strong>e epistemische Interpretation abzuerkennen. Vielmehr läßt<br />
sich die Wesensverwandtschaft dieser drei Verben <strong>ein</strong>fach nicht leugnen:<br />
(36) Die Brücke sch<strong>ein</strong>t/droht/verspricht <strong>ein</strong>zustürzen.<br />
Während sch<strong>ein</strong>en <strong>ein</strong>e Annahme (des Sprechers) mitausdrückt,<br />
inkludieren drohen und versprechen, <strong>ein</strong>e Befürchtung (des Sprechers) oder<br />
<strong>ein</strong>e Gewißheit (des Sprechers). Mir ist k<strong>ein</strong> Grund bekannt, der dagegen<br />
spricht, diese drei Verben in (36) analog zu behandeln. Ganz im Gegenteil,<br />
unsere Annahme, daß sich in den epistemischen Varianten immer noch <strong>ein</strong><br />
Rest der Ursprungsbedeutung widerspiegelt, trifft sogar diese Vorhersage,<br />
daß sich drohen und vesprechen als epistemische Verben so verhalten<br />
müssen.<br />
Vergleichen wir aber nun diese drei Verben mit den MV. Wie wir schon in<br />
Erfahrung gebracht haben, ergeben sich epistemische Interpretationen<br />
typischerweise beim Infinitiv Perfekt oder imperfektiven Komplementen:<br />
(37) a. Die Brücke kann/muß/dürfte/soll/will/mag/wird <strong>ein</strong>gestürzt s<strong>ein</strong>.<br />
b. Die Brücke sch<strong>ein</strong>t/*droht/*verspricht <strong>ein</strong>gestürzt zu s<strong>ein</strong>.<br />
(38) a. Er kann/muß/dürfte/soll/will/mag/wird in <strong>Berlin</strong> wohnen.<br />
b. Er sch<strong>ein</strong>t/*droht/*verspricht in <strong>Berlin</strong> zu wohnen<br />
Im Gegensatz zu sch<strong>ein</strong>en und den klassischen EMV sperren sich drohen<br />
und versprechen in ihrer ”quasi-epistemischen” Lesart gegen derartige<br />
Kontexte. Worin liegt der Grund dafür? Ist die Aktionsart des Komplements<br />
oder dessen Tempusspezifikation dafür verantwortlich? Oder verfügen diese<br />
Lexeme tatsächlich über k<strong>ein</strong>erlei epistemische Interpretation? Folgende<br />
Sätze geben mehr Aufschluß darüber.<br />
(39) a. Die Brücke droht/verspricht noch lange zu stehen.<br />
b. Die Brücke sch<strong>ein</strong>t noch lange zu stehen.<br />
c. Die Brücke dürfte noch lange stehen.<br />
(40) a. *Die Brücke droht/verspricht seit langem zu stehen.<br />
b. Die Brücke sch<strong>ein</strong>t seit langem zu stehen.<br />
c. Die Brücke dürfte seit langem stehen.<br />
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