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FC287a, Kleinwüchsige Menschen in Ausbildung und Beruf Teil

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Zusätzlich verunsichert ihn die nach der Privatisierung geänderte Unternehmensphilosophie. Gefordert<br />

s<strong>in</strong>d nun mehr Eigenverantwortlichkeit <strong>und</strong> Entscheidungskompetenz, weg vom ausführenden<br />

h<strong>in</strong> zum mitgestaltenden Mitarbeiter, der für se<strong>in</strong>e Entscheidungen gerade stehen muss. Die Sicherheit<br />

e<strong>in</strong>er hierarchischen Struktur ist ihm abhanden gekommen.<br />

„Man bekommt heutzutage auch nicht mehr gesagt: ‚Das war gut so, das war okay, wie du das gemacht<br />

hast‘. Da ist man verunsichert, bist du jetzt auf der richtigen L<strong>in</strong>ie? Und die Chefs halten<br />

sich mehr zurück, dass man dann selber entscheiden muss, machst du’s oder machst du‘s nicht?“<br />

Auch Marietta Alberts‘ <strong>Beruf</strong>sbiographie, Kurzzeitstellen, gefolgt von Umschulungen <strong>und</strong> Arbeitslosigkeit<br />

<strong>und</strong> dann das ganze wieder von vorne, zerren an ihren Nerven.<br />

„Dass man ständig wechseln muss. Alle zwei Jahre b<strong>in</strong> ich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er neuen Firma. Das macht mir<br />

sehr zu schaffen. Immer wieder das neue E<strong>in</strong>gewöhnen, immer wieder Energie re<strong>in</strong>stecken <strong>und</strong> sagen:<br />

‚Hier will ich weiterkommen‘. Und die <strong>Ausbildung</strong> noch. Und ich kann das <strong>und</strong> das noch dazulernen.<br />

Ich muss schon jedes Mal wieder umdenken. Wieder etwas Neues, es ist ziemlich stressig“.<br />

Die berufliche Unsicherheit <strong>und</strong> Zerrissenheit schlägt sich auch familiär nieder. Der geme<strong>in</strong>same<br />

K<strong>in</strong>derwunsch kann nicht e<strong>in</strong>fach umgesetzt werden, vielmehr sche<strong>in</strong>t der „richtige“ Zeitpunkt für<br />

e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e weitere unkalkulierbare Größe zu se<strong>in</strong>. Zukunft sche<strong>in</strong>t nicht mehr planbar, aus der<br />

Hand gerissen von e<strong>in</strong>er sozioökonomischen Systemlogik, die sich ihrer Kontrolle entzieht.<br />

„Was mich auch bedrückt, ist die Familiensituation. Ob K<strong>in</strong>d oder nicht oder wann am besten. Ich<br />

habe immer das <strong>in</strong>nerliche Gefühl, dass ich immer zu spät komme zu irgendwas. Ich b<strong>in</strong> da ziemlich<br />

zerrissen“.<br />

Das rauere Westklima mit leistungs- <strong>und</strong> konkurrenzorientierter Ausrichtung hat aus Marietta Alberts‘<br />

Sicht auch das Mite<strong>in</strong>ander zwischen Beh<strong>in</strong>derten <strong>und</strong> Nichtbeh<strong>in</strong>derten verschlechtert.<br />

Wenn allen der W<strong>in</strong>d <strong>in</strong>s Gesicht weht, wird aus der vorherigen Solidarität e<strong>in</strong> Gegene<strong>in</strong>ander, weil<br />

jeder nur noch nach se<strong>in</strong>em Auskommen schaut.<br />

„Im Osten ist der Umgang e<strong>in</strong>fach e<strong>in</strong> bisschen härter, f<strong>in</strong>de ich, denke ich mal, weil eben die<br />

Konkurrenz so groß ist, auch zwischen den ges<strong>und</strong>en <strong>und</strong> normalwüchsigen Leuten. Da wird auch<br />

bei uns <strong>Kle<strong>in</strong>wüchsige</strong>n verstärkt geguckt“<br />

Irgendwo auf dem beruflichen Weg kapituliert Marietta Alberts für e<strong>in</strong>e Weile. Der Zwang zur<br />

permanenten Hochleistung, verb<strong>und</strong>en mit empf<strong>und</strong>enen Schikanen, wird ihr körperlich <strong>und</strong> seelisch<br />

zu viel.<br />

„Mobb<strong>in</strong>g war offen <strong>und</strong> verdeckt. [...]. Und irgendwann habe ich gesagt, es geht nicht mehr, irgendwann<br />

habe ich me<strong>in</strong>en Chef angebrüllt, obwohl das nie me<strong>in</strong>e Art ist. Ich b<strong>in</strong> eher der ruhige<br />

Typ, der schluckt. Und dann war ich krank, es war alles zuviel. Und er wollte mich sowieso entlassen<br />

<strong>und</strong> das wusste ich damals schon. Und dann habe ich krank gemacht bis die Kündigung durch<br />

war, auch mit der Hauptfürsorgestelle <strong>und</strong> dann war das erledigt. Na ja, das bleibt immer so im<br />

H<strong>in</strong>terkopf, diese Angst davor, dass das wieder passieren könnte, weil man sich nicht gut genug<br />

verkauft“.<br />

In Bezug auf Bewerbungen geht es ihr ähnlich wie vielen: ist es s<strong>in</strong>nvoll, den Kle<strong>in</strong>wuchs schon im<br />

Bewerbungsschreiben anzugeben oder sollte man lieber abwarten, bis man <strong>in</strong> die engere Auswahl<br />

kommt? Es entsteht e<strong>in</strong> Form von Orientierungslosigkeit, bei der sie nicht mehr weiß, welchen<br />

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