30.10.2012 Aufrufe

FC287a, Kleinwüchsige Menschen in Ausbildung und Beruf Teil

FC287a, Kleinwüchsige Menschen in Ausbildung und Beruf Teil

FC287a, Kleinwüchsige Menschen in Ausbildung und Beruf Teil

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

„Die Kollegen s<strong>in</strong>d gemischt, aus 20 Ländern. Der Kle<strong>in</strong>wuchs spielt im Arbeitsprozess überhaupt<br />

ke<strong>in</strong>e Rolle. Ich muss me<strong>in</strong>e Arbeitsaufgaben genauso erfüllen wie andere. Da wird ke<strong>in</strong>e Rücksicht<br />

genommen. Ich me<strong>in</strong>e, wenn ich irgendwelche Hilfsmittel beantrage, das wird alles positiv aufgenommen<br />

<strong>und</strong> gemacht, ansonsten werde ich von me<strong>in</strong>en Kollegen genauso gesehen wie andere. Mir<br />

fällt dann überhaupt nicht auf, dass ich kle<strong>in</strong>wüchsig b<strong>in</strong>“.<br />

Ist der Fokus Jürgen Schleiermachers zur Zeit der Wende eher die Entwicklung des Arbeitsmarktes,<br />

ist für se<strong>in</strong>e Frau die neue Struktur des Ges<strong>und</strong>heitssystems von zentraler Bedeutung, da sie ständig<br />

<strong>in</strong> mediz<strong>in</strong>ischer Behandlung ist.<br />

„Im November, als es Geschichte wurde, habe ich im Krankenhaus gelegen. Durfte das Feuerwerk<br />

sehen. Ich hatte sehr stark gemischte Gefühle, weil ich nicht wusste, wie das Ges<strong>und</strong>heitswesen<br />

weitergeht. Behalte ich me<strong>in</strong> Krankenbett? Fliege ich raus? Ich habe äußerlich Ruhe bewahrt, ich<br />

konnte ja nicht wegrennen. Es g<strong>in</strong>g nicht. Ich lag da im Bett. Aber es war mir schon irgendwie unwohl.<br />

Auch von den <strong>in</strong>neren Werten. Und dass ich dann gesagt habe: ‚Erst mal e<strong>in</strong>en Schritt nach<br />

dem andern’. Also ich konnte es nicht so direkt genießen. Ich konnte nicht ‚hurra‘ sagen“.<br />

Was s<strong>in</strong>d ihre diesbezüglichen Erwartungen, Wünsche <strong>und</strong> Hoffnungen nach der Wiedervere<strong>in</strong>igung?<br />

„Die Hoffnung auf bessere Chancen, mediz<strong>in</strong>isch betreut zu werden. Ich war mit dem ärztlichen<br />

Gebaren nicht e<strong>in</strong>verstanden, mit dem Umgang als Mensch. Man ist Vorzeigefreiwild. Dass sie<br />

nicht gefragt haben: ‚Na, Frau Schleiermacher, ist Ihnen heute nicht wohl?‘ Die s<strong>in</strong>d sehr respektlos<br />

dem seelischen Empf<strong>in</strong>den des gerade Kranken gegenüber. Das hat mir nicht gefallen“.<br />

E<strong>in</strong> ganzheitlicherer Behandlungsansatz <strong>und</strong> die neue Rolle als mündige Patient<strong>in</strong> gehören für sie<br />

zu den wichtigen <strong>und</strong> positiven Änderungen des neuen Ges<strong>und</strong>heitssystems.<br />

„Man ist jetzt Erwachsene, unabhängig von der Körpergröße gesehen. Die Ärzte haben mir mal<br />

vernünftig zugehört. Das hatte ich selten. Das waren die neuen Ärzte. Das Klima hat sich verbessert.<br />

Ich fühlte mich schon ernster genommen, konnte auch mal das ‚Unwichtige‘ sagen, was aber<br />

für mich wichtig war. Man kann ja bei e<strong>in</strong>em Be<strong>in</strong> nicht das Be<strong>in</strong> sehen, man muss auch den ganzen<br />

Körper sehen. Da ist ja auch noch e<strong>in</strong> Mensch dran an dem Be<strong>in</strong>“.<br />

Während Annegret Schleiermacher das veränderte Arzt-Patient-Verhältnis sehr zusagt, steht sie mit<br />

der bürokratischen Seite des neuen Ges<strong>und</strong>heitssystems auf Kriegsfuß.<br />

„Also ich habe mit me<strong>in</strong>em Schwerbeh<strong>in</strong>dertenausweis anderthalb Jahre kämpfen müssen. Was mir<br />

hier auffällt, <strong>in</strong> diesem System, ist dass das alles so lange dauert <strong>und</strong> dass der eigentliche Anspruch<br />

immer nicht bleibt. Man muss sich immer wieder neu rechtfertigen. Da ist schon so e<strong>in</strong>e gewisse<br />

<strong>in</strong>nere Unruhe“.<br />

Beide setzen sich kritisch mit dem „alten“ <strong>und</strong> „neuen“ Beh<strong>in</strong>derungsbegriff <strong>und</strong> –bild ause<strong>in</strong>ander<br />

d.h. es gibt viel ‚sowohl als auch‘ im S<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>er kritischen Bestandsaufnahme. E<strong>in</strong> simplifizierendes<br />

Bild <strong>in</strong> der Art „früher war alles besser“ oder „früher war alles schlechter“ entspricht nicht ihrer<br />

differenzierten Haltung. Dennoch ist die Tendenz zur Favorisierung des jetzigen Systems spürbar.<br />

So ist Jürgen Schleiermacher der Ansicht, dass Beh<strong>in</strong>derte <strong>in</strong> der DDR <strong>in</strong>sgesamt ausgegrenzter<br />

waren.<br />

„Das Problem der beh<strong>in</strong>derten <strong>Menschen</strong> <strong>in</strong> der DDR – bis auf die letzten Jahre – ist im Großen<br />

<strong>und</strong> Ganzen verdrängt worden. Die waren zwar da, aber mehr auch nicht. Das wurde dann erst<br />

99

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!