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FC287a, Kleinwüchsige Menschen in Ausbildung und Beruf Teil

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Das heißt, wenn man es e<strong>in</strong>mal generalisierend formulieren darf: Männer s<strong>in</strong>d kränker – oder fühlen<br />

sich zum<strong>in</strong>dest kränker - <strong>und</strong> s<strong>in</strong>d dennoch nicht so häufig erwerbsunfähig wie Frauen. Über Gründe<br />

kann man nur vorsichtig spekulieren: beißen Männer eher die Zähne zusammen <strong>und</strong> halten<br />

durch, zu welchem ges<strong>und</strong>heitlichen Preis auch immer? Oder gibt es e<strong>in</strong>e Tendenz der Behörden,<br />

Männer länger <strong>in</strong> Lohn <strong>und</strong> Brot zu halten <strong>und</strong> die Frauen schneller oder früher zu verrenten? Oder<br />

ist Erwerbunfähigkeit für manche Frauen der für sie legitime Ausweg aus e<strong>in</strong>em ohneh<strong>in</strong> ungeliebten<br />

Job?<br />

10.3 Zusammenfassung<br />

Insgesamt liefern die vorliegenden Daten ke<strong>in</strong>en H<strong>in</strong>weis auf doppelte Diskrim<strong>in</strong>ierung der Frauen,<br />

sollte man mit dieser These konform gehen. Im Gegenteil, bei e<strong>in</strong>er schlicht numerischen Aufzählung/<br />

numerischen Vergleich schneiden sie besser ab. Höhere Schul- <strong>und</strong> <strong>Beruf</strong>abschlüsse, mehr<br />

Vollzeiterwerbstätigkeit, Dom<strong>in</strong>anz bei gehobenen (allerd<strong>in</strong>gs nicht bei höheren) E<strong>in</strong>kommen,<br />

mehr Weisungsbefugnis <strong>und</strong> ger<strong>in</strong>gere Arbeitslosigkeit.<br />

Es reicht also nicht (mehr) aus, den Blick ausschließlich auf (den sicherlich vorhandenen) gesellschaftlichen<br />

Prozess des „Beh<strong>in</strong>dert-Werdens“ zu richten, denn dieser Blick ist zu kurz. Denn aus<br />

dem Anprangern der doppelten Diskrim<strong>in</strong>ierung als Kritik an gesellschaftlichen Strukturen kann<br />

leicht die Assoziation „beh<strong>in</strong>dert + Frau = bemitleidenswertes Opfer“ entstehen. Und diese Wahrnehmung<br />

– als These zweifacher Unterdrückung ursprünglich emanzipatorisch <strong>und</strong> gesellschaftskritisch<br />

gedacht - käme letztendlich als e<strong>in</strong>schränkend-abwertender Bumerang auf die betroffenen<br />

Frauen zurück.<br />

Um Bumerangeffekte zu vermeiden, sollte auch e<strong>in</strong>e zweite Perspektive e<strong>in</strong>genommen werden: die<br />

der beh<strong>in</strong>derten, hier kle<strong>in</strong>wüchsigen Frau als selbstbestimmte Akteur<strong>in</strong> mit <strong>in</strong>dividuellen Ressourcen<br />

<strong>und</strong> Stärken <strong>und</strong> mit den Attributen, die sich auch aus dieser Untersuchung ergeben: kompetent,<br />

leistungsstark <strong>und</strong> erfolgreich. E<strong>in</strong>e zusätzliche Leistung, die beh<strong>in</strong>derte Frauen erbr<strong>in</strong>gen, ist neben<br />

dem Heraustreten aus der zugeschriebenen Opferrolle die eigene Strukturierung des Lebensentwurfs<br />

ohne für sie 1:1 übertragbare kollektive Orientierungsmuster. Biographische Selbststeuerung setzt<br />

zunächst die Fähigkeit voraus, das Leben als eigenständige Biographie, als <strong>in</strong>dividuelles Projekt zu<br />

entwerfen. Solche Lebensentwürfe s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der Regel natürlich ke<strong>in</strong>e ausschließlich <strong>in</strong>dividuellen,<br />

sie beziehen sich immer auf kollektive Lebensentwürfe, auf e<strong>in</strong>e Art H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong>wissen über typische<br />

Lebensentwürfe <strong>in</strong> der Gesellschaft, das gewissermaßen den Horizont für den <strong>in</strong>dividuellen<br />

Lebensentwurf abgibt. Kollektive Lebensentwürfe beziehen sich auf gesellschaftliche Normalitätsvorstellungen<br />

<strong>und</strong> auf kulturell tradierte S<strong>in</strong>nzusammenhänge im Kontext von Geschlechts- <strong>und</strong><br />

Milieu- bzw. Schichtzugehörigkeit (Geissler 1990). Zwar s<strong>in</strong>d kollektive Normen nicht mehr so<br />

rigide wie früher, dennoch gibt es „Vorgaben“, an denen sich <strong>Menschen</strong> orientieren, um zu <strong>in</strong>dividuellen<br />

Entwürfen zu gelangen: die Absolvierung bestimmter <strong>Ausbildung</strong>en, bei Frauen Aufnahme<br />

von Erwerbstätigkeit <strong>und</strong>/oder Familienphase (“doppelter Lebensentwurf“) etc. Diese Orientierungspunkte<br />

s<strong>in</strong>d für kle<strong>in</strong>wüchsige <strong>Menschen</strong> <strong>und</strong> besonders Frauen nicht <strong>in</strong> dem Maß handlungssteuernd<br />

wie bei Nichtkle<strong>in</strong>wüchsigen/Nichtbeh<strong>in</strong>derten. Die Größe stellt weitergehende Anforderungen<br />

an Entscheidungsprozesse beruflicher Art. Nicht jeder <strong>Beruf</strong> ist geeignet, normative Vorgaben<br />

s<strong>in</strong>d hier unter Umständen wenig hilfreich. Und für kle<strong>in</strong>wüchsige Frauen gilt es, nicht den<br />

doppelten, sondern sozusagen den dreifachen Lebensentwurf zu bewerkstelligen. Der sog. „doppelte<br />

Lebensentwurf impliziert die Integration der Frauen <strong>in</strong> das Erwerbsleben bei gleichzeitiger<br />

Zuständigkeit für die Familie. Der dreifache me<strong>in</strong>t hier den Lebensentwurf vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong><br />

des Kle<strong>in</strong>wuchses. Dies wird beispielsweise dann virulent, wenn kle<strong>in</strong>wüchsige Frauen die Familienphase<br />

anstreben, d.h. e<strong>in</strong>en K<strong>in</strong>derwunsch haben. Als beh<strong>in</strong>derte Frau e<strong>in</strong> (möglicherweise ebenfalls<br />

beh<strong>in</strong>dertes) K<strong>in</strong>d zu bekommen – wo gibt es hierfür e<strong>in</strong> Modell, das als Orientierung dienen<br />

könnte? In der deutschen Geschichte etwa? In der aktuellen Diskussion um Reproduktionsmediz<strong>in</strong>,<br />

Gentechnik <strong>und</strong> Pränataldiagnostik etwa? Mit anderen Worten: kle<strong>in</strong>wüchsige Frauen stehen hier<br />

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