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FC287a, Kleinwüchsige Menschen in Ausbildung und Beruf Teil

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praxis. Es war völlig überschaubar für uns, ich kannte mich total aus. Und nun kannte ich mich gar<br />

nicht mehr aus“.<br />

Wie e<strong>in</strong>e Prüfungskandidat<strong>in</strong> muss sie sich <strong>in</strong> ihrer Freizeit h<strong>in</strong>setzen <strong>und</strong> pauken.<br />

„Ich habe gelernt wie e<strong>in</strong>e Irre. Die Medikamente, die für me<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>der wichtig waren, die ganzen<br />

neuen Antibiotika alle<strong>in</strong>e. Erstmal wollten die Patienten das Alte nicht mehr verschrieben haben,<br />

aber dann kam e<strong>in</strong>e rückläufige Welle. Jetzt kommen die Leute wieder darauf zurück: ‚Ach, das hat<br />

uns doch immer geholfen‘. Das Neue ist auch ke<strong>in</strong> W<strong>und</strong>ermittel. Aber das war me<strong>in</strong> größtes Problem<br />

nach der Wende: die neuen Medikamente <strong>und</strong> die neue Zusammensetzung des ganzen Ges<strong>und</strong>heitswesens“.<br />

Auch der Arzt-Patient-Kontakt wird enthierarchisiert, plötzlich ist nicht mehr das Wort des Arztes<br />

Gesetz, plötzlich sehen sich Mediz<strong>in</strong>er mit sog. mündigen Patienten konfrontiert, die mitreden<br />

wollen <strong>und</strong> Entscheidungsbegründungen fordern. Sibylle Mannheimer empf<strong>in</strong>det diesen Umbruchprozess<br />

als zu unreflektiert <strong>und</strong> überstürzt. Die Polarisierung „Alles, was war, war falsch <strong>und</strong> alles,<br />

was aus dem Westen kommt, ist richtig“, ist ihr zu simpel. Es kommt ihr vor, als würde ihre bisherige<br />

Arbeit entwertet, ihre menschliche <strong>und</strong> fachliche Kompetenz als Ärzt<strong>in</strong> <strong>in</strong> Frage gestellt.<br />

„Unser Verhalten den jungen Müttern gegenüber zum Beispiel musste ja nun e<strong>in</strong> ganz anderes se<strong>in</strong>.<br />

Diese ganzen K<strong>in</strong>dergruppen, die da gebildet wurden, diese ganzen Krabbelgruppen. Unsere ganzen<br />

Räume mussten umgeräumt werden, Decken <strong>und</strong> Kissen, das gab’s ja bisher nicht. Unsere K<strong>in</strong>der<br />

wurden gut betreut, aber das gab’s an der Basis hier nicht. Nun war das plötzlich so. Man gab<br />

den Müttern jetzt viele Proben, da kamen die von Alete <strong>und</strong> die Vertreter zum Beispiel von Impfstoffen.<br />

Und ich war eigentlich immer sehr impffreudig <strong>und</strong> musste nun aber lernen, daß man die<br />

Leute nicht mehr reglementieren darf. Nee, so g<strong>in</strong>g das nicht mehr. Da musste man den Leuten das<br />

erklären <strong>und</strong> die wollten dann nicht <strong>und</strong> es entwickelte sich richtige Impfgegnerschaft. Inzwischen<br />

hat sich das alles wieder auf Normallevel e<strong>in</strong>gependelt. Kurz nach der Wende war das aber für uns<br />

ganz erschütternd. Man durfte den Leuten nicht mehr diktatorisch kommen <strong>und</strong> sagen: ‘Jetzt machen<br />

wir das‘, sondern man musste lange diskutieren. Und wieder erklären. In der Mediz<strong>in</strong>, da war<br />

die Wende gravierend“.<br />

Ihr Verhältnis zum alten mediz<strong>in</strong>ischen System ist ambivalent. Auf der e<strong>in</strong>en Seite kritisiert sie<br />

Heuchelei <strong>und</strong> e<strong>in</strong>en Pseudorückzug auf Formales.<br />

„Es war ja zu DDR-Zeiten immer e<strong>in</strong> Kampf, wenn man beispielsweise e<strong>in</strong>e gesamtdeutsche Ärztezeitung<br />

abonnieren wollte oder hatte. Was gegen e<strong>in</strong>e gesamtdeutsche Zeitung sprach? Dass die zu<br />

teuer wären oder es musste irgendwas umgerechnet werden. Das echte Argument war, dass e<strong>in</strong><br />

Haufen Reklame dr<strong>in</strong> war <strong>und</strong> Kontakte waren nicht erwünscht zu Kollegen <strong>in</strong> den alten B<strong>und</strong>esländern,<br />

an die man ja dann hätte schreiben können“.<br />

Auf der andern Seite entbehrte für sie die Abschottung des DDR-Systems nicht e<strong>in</strong>er gewissen <strong>in</strong>ternen<br />

Logik, verh<strong>in</strong>derte sie doch e<strong>in</strong> Ausbluten des Landes an mediz<strong>in</strong>ischer Versorgung.<br />

„Es s<strong>in</strong>d ja auch ganz viele Mediz<strong>in</strong>er weggegangen aus der DDR <strong>und</strong> haben natürlich e<strong>in</strong>e Lücke<br />

h<strong>in</strong>terlassen. Es ist ja traurig, wenn e<strong>in</strong> Staat sich so abschotten muss, aber es gab ja auch viele<br />

politische Gründe, die das bis zu e<strong>in</strong>em gewissen Grad auch erzwungen haben. Wenn die Leute<br />

abgeworben wurden, das ist ja auch Unrecht gewesen. Die fehlten ja hier“,<br />

Den Anforderungen des neuen Systems will sie sich nicht mehr aussetzen. Die Auflösung ihrer Polikl<strong>in</strong>ik,<br />

Bewerbungen, e<strong>in</strong>e neue Stelle, der Verlust an Autorität <strong>und</strong> Respekt, all das lässt sie noch<br />

e<strong>in</strong>e Zeitlang ausharren, um an ihren ursprünglichen Plan, mit 65 Jahren <strong>in</strong> Rente zu gehen, fest-<br />

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